Flammenkinder: Kriminalroman (German Edition)
sein, aber das ist ausgeschlossen«, erwidert Rimmer sofort.
»Wir ermitteln hier in einem Doppelmord und …«
»Keiner widersetzt sich meiner Entscheidung und gefährdet die Genesung des Patienten.«
»Mir ist bewusst, dass es Daniel Grim sehr schlecht geht, aber ich verspreche Ihnen, dass …«
»Meiner Einschätzung nach«, unterbricht Carl Rimmer ihn freundlich, »meiner Einschätzung nach wird der Patient wieder gesund, so dass die Polizei ihn bald wird vernehmen können.«
»Wann?«
»In schätzungsweise zwei Monaten.«
»Ich müsste ihn aber eigentlich schon jetzt kurz sprechen«, versucht Joona es noch einmal.
»Als sein Arzt muss ich das ablehnen«, entgegnet Rimmer unerschütterlich. »Nach der Vernehmung durch ihren Kollegen war er wirklich furchtbar aufgewühlt.«
72
FLORA EILT MIT DEN SCHWEREN EINKAUFSTÜTEN aus dem Supermarkt nach Hause. Der Himmel ist schon dunkel, aber die Straßenlaternen sind noch nicht angegangen. Ihr Bauch krampft sich zusammen, als sie an ihren Anruf bei der Polizei denkt, bei dem sie abgewiesen wurde und anschließend mit schamrotem Kopf dasaß. Die Polizistin hatte ihr gesagt, es sei strafbar, anzurufen und zu lügen, trotzdem hatte sie ein zweites Mal zum Hörer gegriffen und angerufen, um über die Mordwaffe zu sprechen. Jetzt muss sie immer wieder an dieses Telefonat denken:
»Polizei«, meldete sich die Frau, die sie eben erst verwarnt hatte.
»Ich heiße Flora Hansen«, sagte sie und schluckte hart. »Ich habe gerade schon einmal angerufen …«
»Wegen der Morde in Sundsvall«, erwiderte die Frau ruhig.
»Ich weiß, wo die Mordwaffe liegt«, log sie.
»Ist Ihnen bewusst, dass ich Anzeige erstatten werde, Frau Hansen?«
»Ich bin ein Medium, ich habe das blutige Messer gesehen, es liegt im Wasser … in dunklem, glitzerndem Wasser – das ist alles, was ich gesehen habe, aber ich … gegen Bezahlung kann ich mich in Trance versetzen und die genaue Stelle angeben.«
»Frau Hansen«, sagte die Polizistin ernst. »In den nächsten Tagen wird Ihnen die Anzeige zugestellt werden, und die Polizei wird …«
Flora hatte aufgelegt.
Nun geht sie an dem kleinen türkischen Laden vorbei, bleibtstehen und durchwühlt den Papierkorb auf der Suche nach Pfandflaschen, nimmt die Einkaufstüte in die linke Hand, geht zum Hauseingang, sieht, dass das Schloss aufgebrochen wurde und tritt ins Treppenhaus.
Der Aufzug ist im Keller stecken geblieben. Sie steigt die Treppe in den zweiten Stock hinauf, schließt die Tür auf, betritt den Flur und drückt auf den Schalter der Deckenlampe.
Es klickt, aber das Licht geht nicht an.
Flora stellt die Einkaufstüte ab, schließt die Tür und zieht die Schuhe aus, und als sie sich bückt, um sie wegzustellen, sträuben sich die Haare auf ihren Armen.
Plötzlich ist es kühl geworden in der Wohnung.
Sie nimmt den Kassenzettel und das Wechselgeld aus dem Portemonnaie und geht zum dunklen Wohnzimmer.
Sie erahnt die Couch, den großen, durchgesessenen Sessel, das schwarze Glas des Fernsehers. Es riecht nach elektrischem Staub, überhitzten Schaltkreisen.
Ohne über die Türschwelle zu treten, streckt sie die Hand aus und tastet auf der Tapete nach dem Stromschalter.
Als sie auf ihn drückt, passiert nichts.
»Ist jemand zu Hause?«, flüstert sie.
Der Fußboden knarrt, und eine Teetasse klirrt auf ihrem Unterteller.
Jemand bewegt sich durch die Dunkelheit, und die Tür zum Badezimmer wird geschlossen.
Flora folgt der Gestalt.
Der PVC-Boden unter ihren Füßen ist kalt wie an einem Wintertag, an dem man zu lange gelüftet hat. Als Flora die Hand ausstreckt, um die Tür zum Badezimmer zu öffnen, fällt ihr im selben Moment ein, dass Ewa und Hans-Gunnar an diesem Abend gar nicht zu Hause sind. Sie wollten in die Pizzeria, um den Geburtstag eines Freundes zu feiern. Obwohl ihr bewusst ist, dass im Badezimmer niemand ist, vollendet ihre Hand die angefangeneBewegung und schiebt die Tür halb auf. In dem grauen Zwielicht, das vom Badezimmerspiegel reflektiert wird, sieht sie etwas. Sie ringt nach Luft und schreckt zurück.
Auf dem Fußboden liegt, zwischen Badewanne und Toilette, ein Kind. Es ist ein Mädchen, das sich die Hände vor die Augen hält. Neben ihrem Kopf sieht Flora eine große dunkle Blutlache, und kleine rote Tropfen sind auf die weißen Ränder der Wanne, die gekachelte Wand und den Duschvorhang gespritzt.
Flora stolpert über den Schlauch des Staubsaugers, rudert mit dem Arm und reißt Ewas koloriertes
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