Flammenpferd
Mit geübtem Schwung zog sie die Lippen in leuchtend hellem Rot nach. „Du lebst auf dem Hof deiner Schwester Nelli, nicht wahr?“
„Woher weißt du das?“, fragte Hella verwundert.
„Wie gesagt, ich habe mich umgehört. Dabei kam auch zur Sprache, was im Herbst auf dem Reinckehof los war. Deine Schwester Nelli ist tödlich verunglückt. Ihr Freund Thies soll daraufhin Selbstmord begangen haben, und kurz darauf ist Nellis Geliebter, ein Tierarzt, ertrunken. Ihr zwei Schwestern und die beiden Männer seid Jugendfreunde gewesen. Ganz schön viel Dramatik auf einmal. Muss hart für dich sein.“
Sie heuchelte Mitgefühl, aber aus ihrer angespannten Miene sprach die schiere Lust am Tratsch.
Hella war kurz davor, auf dem Absatz kehrt zu machen oder Swantje die Meinung mit klaren Worten in das magere geschminkte Gesicht zu sagen. Aber sie tat weder das eine, noch das andere, und rettete sich in Sarkasmus. „Du hast vergessen zu erwähnen, dass auch ich einmal mit Philipp, dem Tierarzt, zusammen gelebt habe.“
„Tatsächlich?“
Swantjes wasserblaue Augen brannten vor Neugier. Die Studentin schien nicht dumm zu sein, aber unsensibel und hemmungslos neugierig. Einen tiefer gehenden Grund für die Fragerei konnte Hella sich nicht vorstellen.
Unvermittelt senkte Fadista den Hals und machte zwei, drei Schritte auf den Zaun zu, als hätte er allen Mut zusammen genommen und wollte die Zaungäste aus der Nähe betrachten. Er schaute sie aus seinen großen dunklen Augen an, und als er nun die etwas zu lang geratenen Ohren aufstellte, war es um Swantje geschehen.
„Ach, er ist so schön“, hauchte sie voller Entzückung.
Fadista prustete kaum hörbar und wagte sich einen weiteren Schritt heran.
„Warum willst du ihn nicht haben, Hella? Du könntest ihn von seinem Trauma heilen, ich bin ganz sicher!“
Hella schüttelte ärgerlich den Kopf. „Du hast zu viel über Pferdeflüsterer gelesen! Es ist nicht die Frage, ob ich ihn heilen könnte, wie du es nennst, oder nicht. Das kann und will ich überhaupt nicht beurteilen. Ich habe schlicht und einfach weder die Lust für eine solche Aufgabe, noch die Zeit dafür.“
„Aber du musst zugeben, dass Uschis Arbeit mit Fadista nicht professionell wirkt“, beharrte Swantje, ohne den Hengst, der sie ebenso abwartend beäugte, aus den Augen zu lassen.
„Wer hinter dem Zaun steht, hat leicht reden“, erwiderte Hella. „Was bringt dich überhaupt auf die Idee, Uschi könnte Fadista verkaufen?“
„Weil sie es mir selbst gesagt hat. Sie würde ihn mir geben, aber ehrlich gesagt, noch lieber dir.“
„Habt ihr den Preis und den Transport auch schon abgeklärt?“, fragte Hella in der Hoffnung, die Ironie würde selbst Swantje nicht verborgen bleiben. „Das wäre Wahnsinn!“, setzte sie vorsichtshalber hinzu.
„Lieber wahnsinnig als herzlos gegenüber einem Pferd“, erklärte Swantje spitz, und dann war sie es, die auf dem Absatz kehrt machte.
Am Geld würde der Kauf kaum scheitern, und genügend Naivität bringt Swantje mit, überlegte Hella. Immer wieder fanden sich Menschen, die ein Pferd retten wollten und bitter daran scheitern mussten. Genau genommen gehörte auch Uschi in diese Kategorie. In diesem Punkt musste sie Swantje Recht geben. Sehr einfühlsam wirkten Uschis Korrekturversuche nicht, und Hella hatte auch nicht das Gefühl, dass Uschi einer Strategie folgte. Trotzdem verspürte Hella nicht den geringsten Wunsch, Uschis Aufgabe zu übernehmen, und Swantje mit ihren Hirngespinsten konnte ihr gestohlen bleiben.
Fadista spitzte wachsam die Ohren und betrachtete sie aus seinen schrägen Augen.
„Ich wünsche dir alles Glück“, flüsterte sie als Abschiedsgruß und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, um vor dem Abendessen noch ein paar Seiten im Podhajsky zu lesen. Danach musste sie packen. Am frühen Morgen würde Bernd sie mit dem Wagen zum Flughafen bringen, und bis zum Abend wäre sie wieder zu Hause auf dem Reinckehof mit all ihren ureigenen Problemen. Und der schöne Fadista wäre nichts als eine Erinnerung an eine abgeschiedene Welt.
9
Vermutlich waren Benni in seinem Leben nicht überragend viele gute Einfälle gekommen, aber das Loch in der Garagenmauer bescherte Kati eine Woche lang viele ungestörte Stunden in Fadistas Nähe. Solange sie zum Abendessen zurück war, kümmerte es die Betreuer nicht, was sie tagsüber trieb. Sie passte immer gut auf und ließ sich nicht von Bennis Vater erwischen. Er würde umgehend anrufen und sie
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