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Flammenpferd

Flammenpferd

Titel: Flammenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kronenberg
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eröffnen. Und was ihren Mann betraf: den kümmerte ein Kind nicht, das nicht seine Tochter war. Abgesehen davon begegnete ihm jeden Tag viel Abgründigeres als ein zündelndes Mädchen. Für einen Kriminalbeamten in seiner Position war eine Brandstifterin ein kleiner Fisch. Und die Verantwortung? Wer trug die Verantwortung dafür, wenn ein Kind sich, sagen wir, wenn es sich merkwürdig entwickelt? Das Kind war schwierig. Die Gene mütterlicherseits, was soll man machen? Auch der Großvater war seltsam gewesen, bis er sein Haus ansteckte und darin verbrannte. Sie hätte alles gegeben, um ihn kennen zu lernen. Vielleicht würde sie ihn treffen, in jener anderen Welt. Falls es die überhaupt gab, diese Welt der toten Seelen. In diesem Punkt war sie unsicher. Andererseits, welche Rolle spielte das schon. Falls es diese heimliche Welt tatsächlich gab, würde man ein Mädchen wie sie auch dort nicht haben wollen. Dass sich kein Abschiedsbrief fand, mochte die anderen Leute, die Betreuer und Psychologen, vielleicht irritieren, aber die Eltern nicht. Das Kind braucht niemanden. Das Kind kann gut allein sein, glaubten sie. Aber im Tod wäre sie nicht allein. Im Tod hatte sie einen Freund an ihrer Seite.
    Das Laufen würde sie vermissen. Beim Laufen konnte sie alles vergessen. Der Kopf war wie leer gepumpt, und sie spürte nichts anderes als die Härte des Bodens unter den Füßen und das rhythmische Heben und Senken der Beine. Und sie fühlte den Atem. Zug um Zug. Schritt um Schritt. Das Laufen ist deine ganz eigene Art der Sucht, hatte einer der Psychologen erklärt. Ohne das Laufen würdest du an der Nadel hängen. Er hatte über Körper eigene Stoffe referiert, die wie Rauschgift wirkten, bis sie ihn auslachte. Dem Mann saßen dreißig Kilo zu viel auf den Rippen. In seinem Leben war er nie schneller geschlurft als ein uralter Hund, und er wollte ihr erklären, was in ihrem Körper geschah, wenn sie Kilometer für Kilometer rannte? Ebenso wenig konnte er erahnen, was in ihrem Kopf vorging. Irgendwann hatte sie es satt, ihm ihre Sicht der Welt zu erklären, und bei den folgenden Heerscharen von Psychologen und Therapeuten hatte sie es gar nicht erst versucht, sondern war brav auf deren Geschwätz eingegangen und hatte die einsichtige Patientin gespielt. Trotzdem war sie für alle die Kokel-Kati geblieben. Nein, inzwischen hasste sie den Spitznamen nicht mehr. Sollten doch alle sehen, dass sie ihn nicht zu Unrecht trug.
    Ein leises Rattern riss sie aus ihren Gedanken. Der Toyota! Ihr verkrampfter Körper wollte nicht sofort gehorchen, und so sah sie den Wagen gerade noch hinter dem Torbogen verschwinden, als sie sich hoch gestemmt hatte, um über die Mauerkante zu lugen. Trotzdem war sie sicher, dass drei Personen im Wagen gesessen hatten. Sie warf einen Blick zum Haus. Billi lag zusammen gerollt wie eine Katze vor der Veranda und rührte sich nicht. Von Benni und dem Mädchen keine Spur. Vielleicht hockten sie in seinem Zimmer und hörten Musik. Sie mochten dieselben Gruppen. Ob er sie vermissen würde?
    Er war im Denken etwas langsam, doch das hatte sie nicht gestört, weil er wenig Fragen stellte und sich mit knappen Antworten begnügte. Alles, was er von ihr wusste, hatte sie ihm von sich aus erzählt. Er behauptete, ihr Freund zu sein, aber darauf verließ sie sich nicht. Jeder Einzelne der Lehrer, Betreuer, Psychologen und Therapeuten, ob Mann oder Frau, der sich das Recht genommen hatten, in ihrem Leben herum zu pfuschen, hatte sich als Freund oder Freundin ausgegeben und nicht einmal versucht, sie zu verstehen, oder ihre Gedanken wenigstens ernst zu nehmen.
    Sie schüttelte die Arme und Beine aus, bis die Glieder beweglicher wurden, und lief um den Stall herum und zur Garage hinüber. Mit klammen Fingern zog sie den Schlüssel hervor, der unter dem Lauftrikot neben dem Feuerzeug an ihrem Hals baumelte, und öffnete das Schloss. Den rechten Torflügel zog sie weit auf. Der Schuppeneingang war vom Haus aus nicht zu sehen. Trotzdem beeilte sie sich. Sie war bereits auf dem Weg zurück zu Fadista, als sie noch einmal umkehrte. Der Kanister stand wie immer in der hinteren Ecke. Ein großer Kanister, den sie wie so oft in den vergangenen Tagen anhob und schüttelte. Er war bis zum Rand mit Benzin gefüllt. Sie trug ihn nach vorn. Ihre Arme zitterten leicht, als sie den Kanister abstellte.
    Fadista spürte ihre Anspannung und schnorchelte ängstlich, als sie die Longe aufnahm, die über einem Zaunpfosten hing, und mit

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