Flammenpferd
wuchtigen Hals und fühlte seine schwere Wärme. Ein Hund kann ein Freund sein, hatte Benni behauptet. Ein Hund kann dich bei einem Überfall beschützen. Oder ein Kind aus dem Wasser ziehen. Ein Hund kann ein Freund sein. Ein Pferd niemals. Benni hatte keine Ahnung. Ihre Freundschaft zu Fadista war einzigartig. Nicht schlicht und belanglos wie die Kameradschaft mit einem gutmütigen Labrador.
Fadista stand mitten im Paddock und schnaubte nervös, als sie sich, nach einem prüfenden Blick zum Wohnhaus hinüber, schnell zwischen den Zaunstangen hindurch schob. Schmeichelnd auf ihn einredend, ging sie weiter und streckte die Hand aus, und er wich misstrauisch ein paar Schritte zurück, bis er mit der Kruppe an den Zaun stieß und sich, in die Enge gedrängt, auf der Hinterhand aufbäumte und die Hufe über ihren Kopf wirbeln ließ. Das Mädchen stand wie erstarrt und rührte sich nicht vom Fleck.
„Du willst mich nicht töten“, flüsterte sie. „Du brauchst mich doch.“
Er verfehlte knapp ihre Schulter, als seine Vorderhufe kurz den Boden berührten, und drehte eine Pirouette, so dass der Sand unter den Hufen aufwirbelte und gegen ihre nackten Waden prasselte. Danach hielt er inne und betrachtete das Mädchen mit aufgewölbtem Hals und wachsam gespitzten Ohren. Die Morgensonne tauchte sein rotes Fell in einen flammenden Glanz und zeichnete die tiefen Narben nach. Er war verloren in dieser Welt, so hatte er sich in ihren Träumen offenbart. Sie waren eins, sie und das Flammenpferd. Für alle Zeiten.
So standen sie sich für eine Weile gegenüber, das Mädchen und das Pferd, geduldig und abwartend, bis Fadistas Aufmerksamkeit abgelenkt wurde und er den Kopf abwandte und zum Wohnhaus hinüber blickt. Uschi Klinghöfer und die blonde junge Frau schlenderten, vertieft in eine lebhafte Unterhaltung, auf den Paddock zu. Mit einem Satz war Kati durch den Zaun und hinter einem Mauervorsprung verschwunden. Während sie geduckt an der nachtkalten Ziegelwand kauerte, wuchs mit jedem aufgeschnappten Wort ihre Verzweiflung.
„Kann ich mich darauf verlassen, dass Hella dich unterstützen wird, Swantje?“, fragte die Klinghöfer. „Nimm es mir bitte nicht übel, aber dir allein traue ich die Arbeit mit Fadista nicht zu.“
Die Stimme der Blonden klang fest und sicher. „Ich habe alles mit Hella besprochen. Sie wird mir helfen und hat auf ihrem Hof in Hameln eine Box für den Hengst reserviert. Hella nimmt an, dass Fadista Schmerzen im Rücken hat. Deshalb würde er sich so fest machen.“
Die Klinghöfer schnaubte empört. „Unsinn, der Hengst ist kerngesund. Wenn Hella mit solchen Behauptungen den Preis drücken will ...“
Die Blonde fiel ihr beschwichtigend ins Wort. Der Preis wäre in Ordnung. Dann fragte sie, ob der Transport schon geklärt wäre.
Angespannt lauschte Kati auf die Antwort der Klinghöfer. Sie hätte eine Weile herum telefoniert. „Ein befreundeter Züchter schickt morgen einen Transport nach Norddeutschland. Du hast Glück, ein Platz ist frei.“
„Morgen schon? Das klappt wie am Schnürchen.“
Auch ohne die Blonde zu sehen, konnte Kati sich das spitzmäulige Grinsen vorstellen.
„Also abgemacht“, sagte die Klinghöfer mit einem feierlichen Klang in der Stimme. „Fadista gehört dir.“
Damit gingen sie, und in Katis Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie durfte keine Zeit verlieren. Mit einem Mal spürte sie die Kälte, die ihr in Arme und Beine gekrochen war und Hände und Füße eiskalt und taub werden ließ. So sehr sehnte sie sich nach Wärme.
10
Sie hatte gewusst, dass der Tag kommen würde. Und sie sofort handeln musste. Ungeduldig harrte sie hinter der Mauer aus. Die Morgensonne war noch nicht hoch genug hinauf gestiegen, um Katis eiskalte Arme und Beine zu wärmen. Zusammen gekrümmt wie eine Erfrierende, wartete das Mädchen auf das Startgeräusch des Toyotas. Beide Klinghöfers würden mitfahren, um die Blonde zum Flughafen zu bringen und anschließend einzukaufen; so hatte sie es dem Gespräch entnehmen können. Mit Fatima, der Köchin, musste sie nicht rechnen. Sie kam nur zur Arbeit, wenn Gäste auf dem Hof waren. Blieben Benni und das Reitmädchen, doch bis die beiden begriffen hatten, was vor sich ging, wäre alles vorbei.
Sie fand es angemessen, für einen Augenblick an die Eltern zu denken. Mehr war sie ihnen nicht schuldig. Nicole und Wolfgang hatten ihr kaum Vorwürfe gemacht. Die Mutter hatte voll damit zu tun, eine Nicoletta-Boutique nach der anderen zu
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