Flammenpferd
Wege fort. Die Japaner eilten an Hella und Swantje vorbei, das nächste touristische Ziel vor Augen.
„Man könnte glauben, du bist eifersüchtig“, sagte Swantje spitz. „Als ob du den Hengst mit niemandem teilen möchtest. Aber vergiss nicht: Fadista gehört mir, und ich bestimme über ihn.“
„Übertreib es nicht, Swantje!“
Hella drehte sich ohne ein weiteres Wort herum und marschierte davon. Sie hatte beherrscht gesprochen, aber in ihrem Innern brodelte es. Ausgerechnet Swantje wollte ihr Anweisungen erteilen. Jana als Hilfe? Ein miserabler Witz nach dem Schauspiel, das sie neulich geboten hatte. Sie musste dankbar sein, dass das Mädchen nicht im Krankenhaus gelandet war. Oder Schlimmeres. Was war los mit Jana? Das Mädchen gab ihr jeden Tag neue Rätsel auf. Bei jeder Frage nach den Eltern oder dem Zuhause schlängelte sie sich um die Antwort herum wie ein Aal. Aus ihren seltenen Anflügen von gutem Benehmen schloss Hella, dass Jana recht streng erzogen worden und bei weitem nicht so ungebildet war, wie sie sich gerne gab. Und sie besaß Ehrgeiz und einen beharrlichen Willen, wie das harte Laufpensum zeigte. Der Vorfall mit Fadista hatte zweierlei bewiesen. Erstens: Fadista war nicht bösartig. Er hätte Jana mit einem Hufschlag töten können. Zweitens: Jana hatte einen Knall. So dämlich verhielt sich niemand, der nur ein Minimum an Pferdekenntnis besaß und alle Sinne beisammen hatte. Es schien beinahe so, als suche Jana die tödliche Gefahr, und vermutlich wäre es besser, sie lieber heute als morgen vom Hof zu schicken. Und Swantje mit dem hochnäsigen Getue sollte sie unverzüglich hinterher jagen!
Hella blieb abrupt stehen und wartete auf Swantje, die ihr zögernd gefolgt war. „Verkaufe mir Fadista!“
Swantje grinste frech. „Wieso sollte ich? Und wenn doch, er hätte seinen Preis.“
Hella biss sich auf die Lippen. Die Arbeit mit dem Hengst bestimmte ihren Tagesablauf und ihr Denken. Sie dachte an ihn, wenn sie einschlief, und beim Aufwachen galten ihm ihre ersten Pläne. Er hatte sie vollkommen für sich eingenommen, aber sie könnte ihn nicht bezahlen. Ihr gesamtes Vermögen und einige Kredite waren für die Klinik verplant. Ein Pferdekauf war nicht drin, und Swantje wusste das ganz genau. Diese Blöße ihr gegenüber hätte nicht sein müssen. Sie blieben wie zwei Freundinnen nebeneinander, als sie schweigend den Pferdemarkt überquerten, und bogen in die Emmernstraße ein. Hella ging an den Schaufenstern vorbei, ohne einen Blick für die Auslagen zu verschwenden. Die Sonne versteckte sich hinter den Wolken, und umgehend setzte Sprühregen ein.
Swantje schob die Rolle mit den Plänen unter den Mantel. „Nimmst du mich mit zum Hof? Mein Auto ist in der Werkstatt.“
Seit Tagen war sie mit schepperndem Auspuff unterwegs gewesen. Hella hatte im Rondell am Krankenhaus geparkt. Gewöhnlich fuhr sie mit Nellis altem Kombi, weil andauernd etwas Sperriges zu besorgen war. An diesem Nachmittag hatte sie ihr Cabrio aus der Garage geholt, einen bläulich schimmernden Z 3, den sie in Wiesbaden zusammen mit Simon ausgesucht hatte. Das Überbleibsel eines vergangenen Lebens, und sie wunderte sich inzwischen, dass sie sich damals von Simon hatte beschwatzen lassen. Der Wagen war teuer im Unterhalt, und man konnte darin kaum eine Kiste Bad Pyrmonter transportieren.
Swantje war unbefleckt von solcher Art praktischer Überlegungen. Beim Anblick des Wagens bekam sie leuchtende Augen. „Das ist doch nicht deiner!“
Hella schwenkte die Schlüssel vor Swantje Nase hin und her. „Magst du fahren?“
Swantje traute der Sache nicht. „Gehört der tatsächlich dir? Sonst fährst du immer diese alte Kiste ...“
„Nun steig schon ein. Oder muss ich dir erst die Papiere zeigen?“
Swantje nahm zaghaft die Schlüssel und öffnete die Fahrertür. Als sie die Rolle mit den Plänen auf die schmale Rückbank legte, fiel ihr die braune Lederjacke auf. „Das ist deine Jacke, Hella.“
Hella setzte sich auf den Beifahrersitz. „Natürlich ist das meine Jacke. Hast du geglaubt, ich wollte den Wagen klauen?“
Swantje ließ den Motor an und bog mit zu viel Gas auf die gewundene Rampe ab.
„Langsam“, warnte Hella. „Das ist nicht dein röhrender Golf.“
Swantje bremste und lenkte den Wagen mit konzentrierter Miene auf die Schranke zu. Vorsichtig bog sie auf die Straße ab. Nach der ersten Kreuzung entspannte sie sich. So schlecht fährt sie gar nicht, dachte Hella. Und der Wagen machte ihr richtig
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