Flammenpferd
dich an, aber lass dich nicht von Hella erwischen!“
Kati hatte ihre Zweifel, ob sie Swantje trauen durfte, darüber wollte sie sich im Augenblick keine Gedanken machen. Vorerst war sie einfach nur froh, nicht verraten zu werden. „Wenn ich dir helfe, musst du auch etwas für mich tun. Kannst du nicht dafür sorgen, dass ich mich um Fadista kümmern darf?“
Swantje ließ sich eine Weile bitten, versprach dann aber, mit Hella zu reden.
„Habt ihr hier in dem Schuppen gesucht?“, fragte Kati. „Vielleicht steckt eure Medizin unter all diesem Plunder?“
„Das hat Jan erledigt, während Hella in Portugal war“, erklärte Swantje. „Wir beide werden uns das Haus vornehmen. Später, wenn die Luft rein ist! Maren hat den Zaun fertig und ist stinksauer auf dich, weil du dich verdrückt hast.“
Kati warf einen bedauernden Blick auf die erkaltende Glut, bevor sie hinausging und über eine Ausrede für Maren nachsann.
22
Am Montagnachmittag verließ Hella die Deutsche Bank und blickte zum Giebel des Hochzeitshauses hinauf, das der Bank gegenüber lag. Hätte man sie nach ihrem liebsten Gebäude der Altstadt gefragt, ihr wäre auf Anhieb das Hochzeitshaus in den Sinn gekommen. Ohne Zweifel gehörte es zu den prachtvollsten Bauten der Weserrenaissance, besaß aber in anderen Hamelner Gebäuden schwer wiegende Konkurrenten. Hinter den grauen Steinmauern, die von zart behauenen Schmuckbändern überzogen waren, hatte sie als kleines Mädchen ein uraltes Geheimnis vermutet; ein verzeihlicher Irrtum, den sie auf das bunte Figurenspiel zurückführte, das zu festgesetzten Zeiten an der Giebelwand geboten wurde. Auch jetzt versammelten sich Passanten wie Touristen vor dem Haus und standen in Trauben dicht beieinander. Hella beschloss, die paar Minuten abzuwarten, und so gespannt wie früher schaute sie zum Giebel hinauf. Sie blinzelte in die Frühlingssonne und wartete darauf, dass sich die Bronzetüren öffneten und die bunt bemalten Figuren frei gaben, die zum Klang einer Querflöte im Kreis fuhren und die Rattenfängersage nacherzählten. Das Orchester tönender Glocken, die gleichmäßig verteilt die Giebelwand schmückten, hatten eben sein Konzert begonnen, als eine nörgelnde Stimme in Hellas Rücken fragte: „Spielst du Touristin?“
Hella wandte sich um. Swantje stand vor ihr, in einen großstädtischen hellen Mantel gehüllt. Unter dem angewinkelten Arm lugte eine lange Papierrolle hervor. Sie warf einen zweifelnden Blick zum Himmel. „So ein Aprilwetter mitten im März. Wenn es gleich schüttet und die Pläne nass werden, kriege ich Ärger. Das sind echte Schätze. Originale von einigen Sanierungen in der Fischpfortenstraße.“
„Alles für deine Diplomarbeit?“, fragte Hella der Höflichkeit halber.
„Der Architekt war so nett, mir die ganzen Unterlagen mitzugeben.“ Swantje zeigte auf das Glockenspiel. „Gefällt dir dieser Kinderkram?“
Hella nickte ernsthaft. „Früher als ich ein Kind war, genauso wie heute.“
Melodisch setzte die Querflöte ein. Beide Bronzetüren verschwanden rechts und links im Mauerwerk, und die erste Figurengruppe tauchte auf. Ein grün gekleideter Spielmann mit Flöte und Federhut, verfolgt von einer Horde wilder Ratten, zog auf einer Kreisbahn vorbei.
Swantje kicherte. „Die Japaner dort drüben sind entzückt. Und sofort laufen die Kameras heiß!“
Hella setzte einen vorwurfsvollen Blick auf. „Du nimmst den Rattenfänger nicht ernst! Das mögen wir Hamelner gar nicht!“
Swantje hob die Hände. „Ich bitte um Vergebung. Mir fehlt der Sinn für Märchen.“
Inzwischen war die zweite Figurengruppe erschienen. In dieser Runde war es die Gruppe der entführten Kinder, die dem Rattenfänger nachlief. Mit der plappernden Swantje an der Seite verging Hella der Spaß am Zuschauen. Sie wandte den Blick ab. „Das ist kein Märchen, das ist eine Sage!“
„Meinetwegen ist es eine Sage“, schwatzte Swantje leichthin. „Kann ich dich um einen Gefallen bitten?“
Sie rückte mit ihrem Anliegen heraus und bat Hella, Jana in die Arbeit mit Fadista einzubeziehen. „Sie ist bis über die Ohren in das Pferd verliebt.“
Die ungeschickte Jana war das Letzte, was Hella an Fadistas Seite gebrauchen konnte. „Das solltest du besser wissen, Swantje. Verliebte sehen die Welt durch die rosarote Brille. Wer mit Pferden arbeitet, muss wach und bei Verstand sein. Erst recht bei einem Hengst wie Fadista.“
Das Figurenspiel war beendet, und die Umstehenden setzten ihre
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