Flammenpferd
stopfte den alten Pullover zwischen beiden Flaschen, damit nichts ins Rutschen geriet, und schulterte den Rucksack erneut. Ohne eine weitere Rast einzulegen, lief sie in einer halben Stunde zurück zum Reinckehof. Eine ordentliche Zeit trotz der Unterbrechung, die sie die Begegnung mit Hella gekostet hatte. Es dämmerte, als sie durch die Einfahrt trabte.
Maren erwartete sie ungeduldig. „Los, Jana! Du sollst mit helfen, die Pferde in den Stall zu bringen. Oder muss ich heute alles allein machen?“
„Du schaffst das leicht!“, konterte Kati.
„Sei bloß nicht frech!“, schimpfte Maren gutmütig. „Stell den Rucksack ab und zieh dir was Warmes über.“
Kati bestand darauf, zuerst den Rucksack ins Haus zu bringen.
„Ich möchte wissen, welchen Schatz du mit dir herum schleppst“, rief Maren ihr nach.
Kati brachte den Rucksack hinauf ins Zimmer und streifte sich einen Pullover aus Nellis Hinterlassenschaft über. Vorher war dieser Pullover wie die anderen Sachen einfach nur irgendein abgelegtes Kleidungsstück gewesen. Seit sie wusste, dass Hellas Schwester tot war, trug sie die Hosen und Pullover der Toten mit einem sonderbaren Gefühl der Verantwortung. Sie fühlte sich durch die Kleider mit ihr verbunden und beneidete Swantje dafür, dass sie in Nellis Zimmer wohnen durfte.
Bevor sie in den Stall ging, wollte sie sich aus der Küche eine Flasche Wasser holen. Zögernd lauschte sie an der Küchentür. Drinnen waren die Stimmen von Hella und Jette zu hörten. Kati hatte wenig Lust auf eine Begegnung mit Jette. Sie beneidete sie glühend um die echten feuerroten Haare und spürte deren nagendes Misstrauen. Der Durst trieb sie trotzdem in die Küche. Außerdem wollte sie Hella wegen Fadista fragen. Sie hatte die Kartons noch nicht gefunden, obwohl sie allein und gemeinsam mit Swantje danach gesucht hatte. Vielleicht hatte Swantje trotzdem bereits mit Hella geredet. Die beiden Frauen saßen auf der Eckbank. Auf der zerschrammten Tischplatte standen zwei Becher und eine Milchtüte, daneben die volle Kaffeekanne.
Hella sah auf, als Kati die Tür öffnete. „Jana, willst du Kaffee?“
Kati verneinte und ging zum Kühlschrank. „Nur ein Wasser. Maren wartet auf mich.“
Jette hatte keinen Blick für sie übrig. „Du musst den Kerl anzeigen, Hella!“, verlangte sie aufgebracht, und die Lockenmähne rutschte ihr über die Schulter vor. „Stell dir vor, der Jeep wäre frontal in deinen Wagen gerast.“
„Danke, nein. Das stelle ich mir lieber nicht vor.“ Hella griff nach der Kaffeekanne. „Eine Anzeige ohne Autonummer wird wenig bringen.“
„Aber der Wagentyp ist auffällig genug! So viele rote Jeeps wird es im Raum Hameln nicht geben!“
„Der Wagen ist im Ausland zugelassen“, wandte Hella ein.
Kati hatte die Kühlschranktür langsam auf und wieder zugemacht, um kein Wort zu verpassen. „Ein roter Jeep? Was ist damit?“
„Der Depp, der ihn fuhr, wäre beinahe in Hellas Wagen gerast!“, rief Jette wütend.
Hella sah Kati aufmerksam an. „Hast du den Jeep vielleicht gesehen? Er ist Richtung Gröninger Feld davon gefahren.“
Kati sah zur Seite. Manchmal hatte der Blick aus Hellas dunklen Augen etwas Durchdringendes, als wollte sie in ihren Kopf hinein schauen, was sehr beunruhigend war. „Nee, hab nicht auf die Autos geachtet. Außerdem bin ich über einen Waldweg zurück gelaufen. Auf der Straße wird so gerast.“
Sie öffnete den Kühlschrank noch einmal und nahm eine Wasserflasche heraus. Zögernd wandte sie sich um.
„Ist noch was?“, fragte Hella.
Kati nickte. Voller Hoffnung fragte sie: „Hat Swantje mit dir gesprochen? Darf ich dir mit Fadista helfen?“
Hella seufzte in diesem genervten Tonfall, den Kati Zeit ihres Lebens von den Erwachsenen gehört hatte, und stellte den Becher ab. Sie straffte den Rücken, als sie sich aufrichtete, und Kati mit strengem Blick musterte. „Meine Meinung hat sich nicht geändert, Jana. Wenn ich dich in seiner Box oder auf dem Paddock erwische, verlässt du umgehend den Hof. Ist das klar?“
Kati griff sich an den Hals und tastete nach dem Lederriemen. Sie brachte nur ein Flüstern heraus. „Das darfst du nicht. Du darfst mich nicht fortschicken.“
Hella lachte, und in Katis Ohren klang es hässlich und schrill. Sie packte die Wasserflasche und schleuderte sie auf Hella. Jette schrie, und Hella riss die Arme hoch und sprang auf. Die Flasche polterte auf die Fliesen. Kati wartete nicht ab und spurtete quer durch die Küche. Als sie
Weitere Kostenlose Bücher