Flammenpferd
nützlich ist.“
Sie sah zu ihm hoch. „Setzen Sie sich endlich hin!“
Er zog den Stuhl heran. „Weshalb hat sie Sie angegriffen?“
Sie ließ sich Zeit mit der Antwort. „Wegen Fadista. Sie ist fanatisch, was den Hengst angeht.“
„Wo kommt sie her? Was ist mit ihren Eltern?“
Hella hob unsicher die Schultern. „Keine Ahnung. Ich weiß nichts über Jana. Ich habe sie aus Mitleid aufgenommen. Sie wirkte so verloren und hilflos.“
„Hilflos? Die Kleine hat es faustdick hinter den Ohren.“
Jette kehrte zurück und brachte eine Schere und eine Pappschachtel mit Heftpflaster mit. „Jana war mir von Anfang an nicht geheuer. Ich bin froh, dass sie geht, bevor sie etwas richtig Schlimmes anstellen könnte.“
„Bitte übertreibe nicht, Jette“, sagte Hella. „Was sollte das deiner Meinung nach sein?“
„Für die konkrete Vorstellung fehlt mir die krankhafte Fantasie.“ Jette schnitt großzügig ein Stück vom Pflaster ab. „Dass man mit ihr besser vorsichtig umgeht, habe ich gleich gespürt.“
„Ach, das hast du gespürt?“ Hella war ehrlich empört. „Hinterher kann jeder schlau daher reden!“
„Ich habe dich gewarnt, weißt du nicht mehr? So, und nun halt still.“ Behutsam setzte sie das Pflaster über die Wunde. „Ich bringe dich ins Krankenhaus.“
Hella musste grinsen. „Und ewig grüßt das Murmeltier! Heute wiederholt sich alles. Aber ich brauche kein Krankenhaus.“
„Oh, verstehe. Die Dame hätte gern eine hübsche Narbe auf der Stirn.“
„So schlimm wird’s schon nicht werden.“
„Frag ihn!“ Jette wandte sich an Julian. „Wie gefällt Ihnen eine Frau mit einer Narbe auf der Stirn?“
Julian lächelte. „In vielen Kulturen gelten Narben als Schönheitsideal. Je tiefer und gröber die Narben, umso angesehener ihre Trägerin.“
„Interessant“, meinte Jette. „Gilt das auch für Mitteleuropa?“
„In Maßen“, erklärte Julian ernsthaft.
Hella knurrte: „Also gut! Fahr mich ins Krankenhaus. Ich will schließlich nicht als Kinderschreck herum laufen.“
„Wenn Sie möchten, bringe ich Sie hin“, schlug Julian liebenswürdig vor. „Unsere Expedition müssen wir wohl verschieben.“
„Eine Expedition?“, fragte Jette neugierig.
Hella grinste. „In den Untergrund.“
„Oh, ihr zwei teilt bereits ein Geheimnis miteinander“, sagte Jette spöttisch. „Dann will ich nicht weiter stören und dem Herrn Wissenschaftler das Feld überlassen.“
„Bitte warte, Jette!“ Hella stand auf und holte drei Schnapsgläser aus dem Küchenschrank. Die Flasche mit Kirschwasser, das Geschenk eines dankbaren Pferdebesitzers, stand daneben. „Willst du auch, Jette?“
Die nickte und rückte auf die Eckbank.
Hella sah fragend auf Julian. „Und Sie? Oder trinken Sie keinen Alkohol?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Nun, Sie sind Vegetarier.“
„Alkohol gehört nicht einmal zu den Einzellern. Ich habe keinerlei Skrupel, alkoholische Molekülketten zu vernichten.“
Hella schenkte großzügig ein. „Weg mit den Molekülen.“
Sie nahm einen vorsichtigen Schluck. Zwar trank sie gern ein Glas italienischen Rotwein, stärkere Sachen allerdings nur selten. Der Schnaps stieg ihr schnell ins Blut.
Jette setzte das Glas an und trank es zur Hälfte aus. „Sagt mal, wollt ihr euch nicht endlich duzen?“
Insgeheim hatte sich Hella, die mit allen Leuten auf dem Hof per Du war, darüber gewundert, dass sie mit Julian nicht über das Sie hinaus gekommen war. Andererseits gefiel es ihr. Es gab der Beziehung etwas Besonderes. Aber ein Widerspruch wäre seltsam erschienen.
„Gern“, sagte Julian. „Aber ich hoffe, dass gilt für uns alle drei.“
„Ebenso gern.“ Jette lächelte zufrieden.
Sie stießen zu Dritt an und leerten die Gläser. Das Telefon klingelte. Hella rechnete mit einem der Pferdebesitzer.
„Dr. Johansen“, sagte sie überrascht.
Er wollte sie an den Vortrag erinnern. Wenn sie mochte, könnte sie gern mit ihm zusammen nach Hannover fahren und ihn anschließend auf einen Empfang der Tierärztlichen Fakultät begleiten. Vielleicht würde sich der eine oder andere interessante Kontakt für die Reha-Klinik ergeben, folgerte er.
„Ich komme gern mit“, antwortete Hella. „Wann holen Sie mich ab?“
Sie notierte den Termin auf dem Notizblock und verabschiedete sich freundlich.
„Das war Dr. Johansen“, erklärte sie überflüssigerweise. „Er nimmt mich mit zu einem Vortrag.“
Julian schwieg und ging voraus. Als sie in seinen Daimler
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