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Flammenpferd

Flammenpferd

Titel: Flammenpferd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kronenberg
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hatte.
     

26
    Tagsüber streunte sie durch in die Stadt und suchte in den Gassen nach verborgenen Winkeln, in die sie bei Gefahr blitzschnell verschwinden konnte. Sie ging im Kaufhaus auf die Kundentoilette und wusch sich das Gesicht, und bei den Gemüsehändlern, deren Stände weit in die Fußgängerzone hinein ragten, klaute sie sich mit flinken Händen das Essen zusammen. Einmal erwischte sie eine Geldbörse. Eine Frau hatte sie offen im Einkaufskorb liegen gelassen, wie eine Aufforderung. Sie nahm die fast fünfzig Euro heraus und warf das Portemonnaie samt Scheckkarte, der Kundenkarte von Karstadt und einigen Fotos in die Weser. Bei allem ging sie sehr vorsichtig vor. Die Stadt war zu klein, als dass ein fremdes Mädchen nicht auffallen konnte.
    Mit Beginn der Abenddämmerung machte sie sich auf den Weg zum Reinckehof. Sie wanderte durch die Nebenstraßen und schlich sich über die Hamelwiesen an die Scheune heran. Aus leeren Futtersäcken und zwei vergessenen Pferdedecken hatte sie sich hoch oben im Heu ein Lager eingerichtet. Wenn der frühe Morgen sie mit seiner klammen Kälte weckte, galt ihr erster Blick Fadista. Im grauen Dämmerlicht verschwammen seine Konturen, ob er nun schlafend im Stroh lag oder sich seiner Nachbarin Melody zuwandte und ihr über den Zaun hinweg mit zärtlicher Hingabe den Kopf auf den Hals legte. Später balancierte sie über den schwingenden Teppich aus altem Stroh hinüber zur anderen Seite des Heubodens und spähte auf das Treiben im Hof.
    Auch dem Feuer hatte sie von der Scheune aus zugesehen. Sie war klug vorgegangen und hatte einen Heuballen ausgesucht, der in ihrem Sichtfeld lag. Nur mit dem Benzin war sie zu sparsam gewesen. Sie hatte geglaubt, das Heu würde brennen wie Papier, und nur eine der Apfelsaftflaschen verwendet. Als das Feuer endlich aufloderte, kam der Totengräber und vernichtete die schönen Flammen. Aber einen Erfolg hatte der Mann nicht verhindern können. Deswegen war sie noch immer sehr aufgeregt.
    Am Vormittag nach dem Brand blieb sie auf ihrem Aussichtspunkt und beobachtete, wie der Totengräber und Hella zwischen den Winterausläufen hindurch auf die Hausweide gingen. Sie hielten sich dicht nebeneinander und strebten auf die Baumgruppe zu, die die Wiese gegen den Feldweg abschirmte. Er trug einen Spaten in der Hand. Hella saß etwas Helles auf der Stirn, ein Pflaster vielleicht. Als sie die Bäume erreichten, blieben sie stehen. Hella trat unschlüssig hin und her und zeigte auf den höchsten Baum. Mit einem heftigen Stoß rammte der Mann den Spaten in das Gras, stemmte den Fuß auf die Spatenkante und begann zu graben. Er grub und schaufelte die Erde heraus. Hella stand daneben und wischte sich mit dem Handrücken durch das Gesicht. Er zog die Jacke aus und hängte sie an einen Ast. Dann grub er weiter, stellte sich in das Loch und häufte die Erde auf. Schließlich hörte er auf zu graben, stieg aus dem Loch heraus und zog die Jacke an. Dann gingen sie. Der Spaten steckte in der aufgeworfenen Erde. Kati wartete. Als Hella und der Mann zurückkehrten, schob er eine Schubkarre vor sich her. Darin lag etwas Großes, ein dunkler Körper. Als sie näher heran kamen und Kati erkennen konnte, was es war, begann ihr Herz zu rasen. Hatten die Flammen sein Fell versengt und sich in die schwarze Haut hinein gefressen? Sie stellte sich vor, wie das verbrannte Fleisch riechen mochte, und verfluchte ihre Feigheit. Hätte sie sich nur näher an das Feuer heran gewagt, als die Feuerwehrleute noch dort waren. Spät in der Nacht war nichts mehr zu finden gewesen. Sie biss sich vor Anspannung in die Fingerknöchel, als sie zusah, wie Hella das Grab mit Erde füllte. Das Feuer war der mächtigste Verbündete, den sie sich vorstellen konnte. Wenn sie das Feuer zum Leben erweckte, fühlte sie sich so frei und furchtlos wie die züngelnden Flammen. Nun hatte sie zum ersten Mal etwas Lebendiges getötet. Mit dem Feuer getötet. Sie musste wissen, wie der verkohlte Körper aussah. Dafür gab es nur einen Weg.
     

27
    Julians Ausrüstung wirkte sparsam. Er meinte, damit auszukommen. Eine Kombizange, eine Eisensäge sowie ein starkes Seil und zwei Taschenlampen mit weiten Schirmen hatte er mitgebracht. Eine Lampe überreichte er Hella. Mit dem Werkzeug in den Händen überquerten sie den Hof. Über der Pappelreihe ruhte der Vollmond und hüllte die Weiden in nachtblaues Licht. Es war nach zehn Uhr. Julian hatte sich verspätet und zu seiner Entschuldigung angeführt, mit

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