Flammentod
Großbuchstaben über dem kurzen Text. Dann folgte der eigentliche Hinweis: »Ich halte es für meine Pflicht, darauf hinzuweisen, daß Volker Becker tiefer in den Todesfall Diepeschrath verstrickt ist, als alle glauben. 1999 hatte er ein Verhältnis mit Diepeschraths Frau Angelika. Fragen Sie sie selbst! Jeder, der das weiß, muß sich die Frage stellen: Ist Achim Diepeschrath einem Eifersuchtsdrama zum Opfer gefallen?« Dann kam die letzte Zeile: »Ein anonymer Bürger dieser Stadt.« Ich reichte Bruchmann das Blatt zurück.
»Was halten Sie davon?« fragte ich.
»Keine Ahnung - jedenfalls werden wir morgen auf der ersten Seite des Lokalteils darüber berichten. Ich hoffe, Sie behalten das Ganze solange für sich. Wir haben wenig Lust darauf, daß uns andere zuvorkommen.«
»Alle Zeitungen erscheinen doch erst morgen wieder. Was soll da groß passieren?«
»Sie vergessen den Rundfunk. Die Lokalradios würden heute noch eine große Sache daraus machen. Für uns wäre die Luft dann schon wieder raus.«
»Es läßt sich wohl kaum verhindern, daß Sie das bringen - ich meine mit Beckers Namen und so weiter?«
Bruchmann verzog den Mund. »Wo denken Sie hin? Schließlich hat das Ding heute morgen in unserem Briefkasten gelegen. Das werden wir uns doch nicht entgehen lassen.«
»Haben Sie mit Becker darüber gesprochen?«
»Wir haben es versucht. Er war zu keiner Stellungnahme bereit.«
»Wenn Sie Auskunft brauchen, kann ich Ihnen dienen. Beckers Verhältnis mit Frau Diepeschrath war bedeutungslos. Es ist völlig offensichtlich, daß hier jemand etwas konstruieren will, damit Becker in möglichst schlechtem Licht dasteht.«
»Mag sein. Aber es gibt den Brief nun mal. Und wir sind es der Öffentlichkeit schuldig, daß wir darüber berichten. Das ist eben die Aufgabe der Presse.«
»Auch wenn Sie damit Beckers Existenz zerstören? Immerhin hat der Mann eine behinderte Frau.«
»Vielleicht nennen wir den Namen nicht.«
»Dann schreiben Sie ›Ein bekannter Gemüsehändler oder so was. Ist mir klar. Aber das läuft auf dasselbe raus.«
Er zuckte mit den Achseln. »Wir schreiben, was passiert. Und außerdem - woher wissen Sie denn so genau, daß Becker unschuldig ist?«
»In Kürze werden Sie es wissen«, erklärte ich. »Wenn ich den wahren Mörder gefunden habe. Ich hoffe, Sie schreiben dann auch, was passiert ist - und vergessen nicht, meinen Namen zu erwähnen.«
Bruchmann zog zwischen den Papieren einen Block heraus und zückte einen Kuli. »Das können Sie jetzt schon haben«, sagte er und grinste. »Berichten Sie doch mal ein bißchen von Ihren Ermittlungen.«
»Das könnte Ihnen so passen«, sagte ich. Damit verließ ich die Redaktion.
Als ich die Straße erreichte, hatte ich das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben. Mit der Presse mußte man sich gut stellen, aber ich hatte darin keine große Erfahrung.
Mittlerweile war es kurz nach fünf. Ich hatte mit Jutta vereinbart, daß wir uns um sechs Uhr bei Theresa treffen würden. Ich versuchte, sie auf dem Handy zu erreichen, doch eine freundliche Damenstimme erzählte mir, der Anschluß sei im Moment nicht erreichbar. Ich beschloß, die Zeit bis zu unserem Treffen zu nutzen und irgendwo etwas zu essen.
Ich befand mich im zweiten Zentrum der Stadt: dem Zentrum, das selbst auch Bergisch Gladbach hieß. Der Unterschied zu Bensberg, wo ich mich bisher herumgetrieben hatte, war deutlich. Hier gab es kein Schloß, keinen Hügel, und so weit ich es überblicken konnte keine steilen Straßen - dafür eine langgezogene rötlich gepflasterte Fußgängerzone von der Stange, die auf einen zugegebenermaßen ganz hübschen Platz mit Kirche, Rathaus und einem pseudomodernen rostfarbenen Kulturzentrum führte. Letzteres hätte genauso gut als Hochlager durchgehen können, zumal es sich unter dem Vordach ein paar Penner gemütlich gemacht hatten. Eine Batterie von Plakaten wies jedoch auf den kulturell wertvollen Inhalt der häßlichen Verpackung hin. Weiße Buchstaben verkündeten, daß es sich um das »Bürgerhaus Bergischer Löwe« handelte. Das war also der Schauplatz von Diepeschraths Betriebsfest gewesen, wo er dem Mädchen an die Wäsche gegangen war.
Vor einem Klotz von Kaufhaus erstand ich eine Bratwurst und gelangte zur Bahnstation - ein Kopfbahnhof, wo gerade eine S-Bahn auf die Abfahrt nach Köln wartete. Dem Bahnhof gegenüber erhob sich ein wüster Betonhaufen, den man notdürftig mit Farbe bestrichen hatte, um von der Häßlichkeit abzulenken. Das
Weitere Kostenlose Bücher