Flammenzorn
vertreiben.
Und sie wusste, dieser Mensch würde sich freuen, sie zu sehen.
Anya wartete, bis Stille ins Haus eingekehrt war. Jules und Max waren schon vor Stunden gegangen. Nun lauschte sie, wie Ciro wie ein Güterzug in seinem Schlafzimmer schnarchte. Sie machte sich Sorgen um den alten Mann; zehn Minuten lang schnarchte er heftig, dann ein kurzes Prusten, dann nichts mehr. Und immer, wenn sie kurz davor war, aus dem Gästebett zu springen, um ihn wiederzubeleben, legte er wieder los. So ging das stundenlang. Anya wusste nicht, wie Max das hatte aushalten können.
Katie schlief neben Anya im Gästebett. Zumindest nahm Anya an, dass sie schlief, da sich ihr Brustkorb so gleichmäßig hob und senkte. Die Hexe hatte ihren Kopf in ein Kissen vergraben, das sie mit beiden Händen festhielt, um die Geräusche abzuwehren.
Verstohlen schlüpfte Anya aus dem Bett und sammelte ihre Klamotten vom Boden auf. Mit nackten Füßen schlich sie die Treppe hinunter, bemüht, nur am Rand aufzutreten, wo die Wahrscheinlichkeit geringer war, dass die Stufen knarrten. Trotzdem hörte es sich in ihren Ohren an, als versuchte sie, mit Highheels Mäuse zu ermorden. Aber sie hörte keine Veränderung in Ciros Schnarchen und kein Quietschen des Betts im Obergeschoss, das andeutete, dass Katie sich, durch ihre Abwesenheit oder das Knarren gestört, auf die andere Seite drehte.
In der verwüsteten Bar streifte sie Katies Kleidung über, ehe sie ihren Mantel und ihre Handtasche von der Garderobe holte. Mit den Schuhen in der Hand fühlte sie sich wie ein Teenager, der sich heimlich aus dem Elternhaus stahl, als sie zur Eingangstür der Bar tapste.
»Wohin gehst du?«
Das Flüstern traf sie unvorbereitet. Anya schaute sich um und sah Renee am Rand der Bar sitzen, ihre nackten Füße in der Dunkelheit baumelnd.
»Ich versuche, jemanden aufzutreiben, der mir helfen kann. Eine andere Laterne«, sagte sie. Das immerhin war die reine Wahrheit. Sie hoffte, sie müsste nicht alle Einzelheiten verraten, um Renee davon abzuhalten, Katie und Ciro zu wecken.
Renee fixierte sie mit einem wissenden Blick. Jahrzehntelang hatte sich diese immer gleiche Geschichte in diesen Mauern vor ihren Augen abgespielt. »Sei vorsichtig, Süße. Ein Mann, der diesen Dämon verschlingen kann, der kann auch dich ins Elend stürzen ... so mühelos, als würde er nur eine Zigarette austreten.«
»Ich passe auf, Renee. Danke.« Mit den Autoschlüsseln in der Hand verließ Anya die Bar.
Wie sehr der bloße Gedanke ihre widerstreitenden Gefühle aufstachelte, wie sehr er ihrem Stolz zuwiderlief und ihren Moralvorstellungen widersprach, sie musste es tun.
Sie würde Drake Ferrer bitten müssen, sie von Mimi zu befreien.
Drake hatte sich eine hübsche kleine Festung der Einsamkeit in Oakland County, nordwestlich der Stadt, gebaut. Gemäß den Grundbuchakten befand sie sich in Lake Angelus, einer prachtvollen Wohnsiedlung, in der ein paar Hundert Einwohner eifersüchtig über ihre Privatsphäre wachten. Anders als die Besitzer der Villen in den Vorstädten von Detroit hatten die Leute in Lake Angelus darauf verzichtet, riesige Häuser auf winzige Grundstücke zu bauen. Die meisten Häuser in Angelus standen, verborgen vor neugierigen Blicken, auf recht beachtlichen Arealen. Drake Ferrers Haus bildete in diesem Punkt keine Ausnahme.
Anya fuhr mit ausgeschalteten Scheinwerfern langsam die gewundene Straße zum See hinunter. Unter dem zunehmenden Mond schimmerte Lake Angelus wie ein Spiegel aus Obsidian. So weit draußen, fern von der Lichterglut von Detroit am Horizont, konnte Anya die Sterne sehen. Immer wieder verdrehte sie sich hinter der Windschutzscheibe den Hals, um zu ihnen hinaufzublicken. Auf dem Weg hier heraus waren ihr nur wenige andere Fahrzeuge begegnet, und in den meisten abgelegenen Häusern, die sie passierte, waren die Lichter gelöscht. Alles lag in tiefem Schlaf.
Anya hoffte, die Tatsache, dass Drakes Haus außerhalb der Zuständigkeit des DPD lag, wäre zu ihrem Vorteil. Vross und seine Leute konnten nicht einfach ohne richterliche Anordnung nach Oakland County fahren und Drake überwachen. Und da es überaus unwahrscheinlich war, dass ein Richter seine Zustimmung erteilen würde, blieb ihnen nur, das Lake Angelus Police Department zu bitten, an ihrer Stelle ein Auge auf Drake zu werfen. Angesichts des hohen Preises, den die Leute hier für ihre Privatsphäre bezahlten, hoffte Anya, dass jegliche Kooperationszusage ein bloßes Lippenbekenntnis
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