Flammenzorn
DFD-Angehörigen stellten sich nach Rang geordnet auf, um dem Toten das letzte Geleit zu geben. Einer nach dem anderen schritt zum Sarg, um Neuman die letzte Ehre zu erweisen. Anya dachte an die Streifen an ihren eigenen Ärmeln, glitt zum Ende der Bank und reihte sich ein.
Sie näherte sich dem Sarg, strich mit den Fingern über die Flagge, die darüber ausgebreitet war. Sie fühlte keinen kalten Schatten darunter, keinen verwirrten Geist, der irgendwo in der Nähe verweilte. Der Sarg enthielt weiter nichts als Gebeine und eine Ausgehuniform, stellte Anya mit Erleichterung fest, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf seine bejahrten Eltern richtete. Wo immer Neuman jetzt war, er war nicht mehr hier bei ihnen.
Die Worte des Geistlichen hallten durch die Kirche. »Gnädiger Gott, erhöre uns: Öffne deinem Diener die Himmelspforte, und hilf denen, die zurückgeblieben sind, einander Trost im Glauben zu spenden, bis wir auf ewig bei dir und unserem Bruder im Himmel sind. Wir bitten dich im Namen Jesu, unseres Herrn.«
»Amen«, flüsterte Anya.
Anya ging die zwei Blocks bis zu ihrem Wagen. Die Kirchenglocken läuteten, so als wollten sie Neumans letzten Einsatz verkünden. Sargträger und Ehrengarde hatten den Sarg wieder auf den Pumpenwagen verladen, um ihn zum Holy Sepulchre Friedhof zu bringen, wo Beisetzung und Grabrede stattfinden sollten. Die Prozession war langsam die Straße hinuntergefahren, und trotz des hellen Tages fuhren sämtliche Wagen mit brennenden Scheinwerfern. Die vielen Hundert Trauernden und DFD-Angehörigen hatten sich zerstreut, so wie die Saat einer Pusteblume, die sich über eine Straße verteilt.
An ihrem Wagen blieb Anya stehen. Zorn brodelte in ihrem Inneren. Jemand hatte einen Fetzen Papier an ihrer Windschutzscheibe hinterlassen. Sie hatte dort ihren offiziellen Parkschein hinterlegt ... Welche verdammte Politesse musste ihr jetzt einen Strafzettel verpassen, nur weil sie einem Trauergottesdienst beigewohnt hatte?
Sie schritt zur Fahrerseite und riss das Stück Papier vom Scheibenwischer. Die Besprechung mit Vross und den anderen Detectives hatte ihr in Sachen Polizeikontakt erstmal gereicht. Irgendjemand durfte sich darauf freuen, dieses Ticket in den Arsch gerammt ...
Es war kein Ticket. Es war eine Notiz, hingekritzelt in einer zackigen Handschrift. Sie lautete:
LATERNE, LATERNE MIT HELLEM SCHEIN,
LEUCHTEST VON FERN IN MEIN BLICKFELD HINEIN.
Unter den Worten war eine Zeichnung: ein detailliertes Bild von Anya, wie sie, die Hände im Schoß, in der Kirchenbank der Kathedrale saß. Ihre Augen blickten ins Nirgendwo, starrten in weite Ferne, und ihre Mundwinkel zeigten ihre Trauer.
Unterzeichnet war der Zettel mit dem hieratischen Symbol vom Tatort: der Hornviper. Ein schwacher Schwefelgeruch haftete an dem Leinenpapier.
Anya wirbelte voller Zorn auf dem Absatz herum. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, so stark, dass noch mehr kratzige Wollfasern ihrer Ausgehuniform in ihre Brandwunde gedrückt wurden. Sie musterte den Strom schwarz gekleideter Trauergäste, der aus der Kirche kam. In der dunklen Kleidung waren die Leute, die sich draußen in alle Richtungen verteilten, kaum voneinander zu unterscheiden. Auf der Woodward Avenue fuhren langsam einige Autos vorüber, während andere darauf warteten, dass die Ampel umschaltete und sie in den Verkehr hineinließ.
Anya hatte recht gehabt ... es hatte sie jemand in der Kirche beobachtet, doch der Beobachter war kein Geist gewesen. Es war ihr Brandstifter.
Ein Brandstifter, der wusste, wer und was sie war.
KAPITEL NEUN
Er war irgendwo in der Nähe.
Anya wandte den Blick von der Beerdigungszeremonie ab. Sie stand am Rande der Trauergemeinde, als die Sargträger die Flagge zusammenfalteten und Neumans Eltern überreichten. Sparky hockte auf ihren polierten Schuhen. Sie war zu weit entfernt, um die Worte des Bischofs zu hören, um irgendetwas zu hören, außer dem klickenden Geräusch der Gewehre, die zum Salut vorbereitet wurden.
Der Rasen auf dem Holy Sepulchre Friedhof zeigte sich in einem frischen Grün, während viele Bäume bereits ihr herbstlich verfärbtes Laub fallen ließen. Anyas Blick wanderte über die Menschen, die sich hier in diesem neuesten Teil des Friedhofs versammelt hatten, über die Feuerwehrwagen, die an der Zufahrtsstraße parkten und weiter zu dem ältesten Teil des Friedhofs mit seinen in den Boden abgesackten, verzierten Grabmalen und Gruften. Der neue Abschnitt war in symmetrischen Reihen angelegt,
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