Flammenzorn
»Hört sich an, als würde Ferrer versuchen, seinen Angreifern ein bisschen Kummer zu bereiten, wenn er schon Feuer legt.«
»Ich suche weiter nach Zusammenhängen. Ich halte dich auf dem Laufenden.« Die Hippiebibliothekarin wollte gerade hinter einer Wand verschwinden, als Anya sie rief und sie bat, noch zu warten.
»Felicity, darf ich dich bitten, noch etwas anderes für mich zu tun?« Anya hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die Bibliothekarin in ihrer Ruhe störte, aber deren herzförmiges Gesicht schien sich mit jeder neuen Frage weiter aufzuhellen.
»Natürlich. Du bist der einzige Kunde, den ich seit Jahrzehnten bedienen durfte. Ich bin ganz dein.«
»Danke, ich weiß das wirklich zu schätzen.« Anya atmete hörbar aus. »Es könnte ein aussichtsloses Unterfangen sein, aber könntest du mir alles heraussuchen, was du über Serpent Mound in Ohio auftreiben kannst?«
»Das ist einfach«, trällerte Felicity. »Aber du wirst mich begleiten müssen. Diese Bücher sind für mich zu schwer.«
Anya schnappte sich ihre Sachen und folgte dem Geist die Treppe hinauf in das erste Obergeschoss. Felicity trieb zwischen den Regalen umher und zeigte schließlich auf ein Fach.
»Da haben wir es.«
Anya war beeindruckt. »Ich kann einfach nicht fassen, dass du dir so gut eingeprägt hast, wo du was findest.«
»Ich habe beinahe alles in dieser Abteilung gelesen. Auf die Dauer wird es eben langweilig.« Sie seufzte. »Aber ich kann dir verraten: Solltest du je Gelegenheit bekommen, zum Geist zu werden, dann ist eine Bibliothek der richtige Ort dafür. Da erwartet dich Unterhaltung für mehrere Jahrzehnte.«
Anya ließ sich auf Hände und Knie sinken und fuhr mit den Fingern über die Buchrücken. »Ich hoffe, die Frage ist nicht zu persönlich, aber wie bist du zu einem Bibliotheksgeist geworden?«
Felicity zuckte mit den Schultern. »Die Geschichte ist nicht sonderlich aufregend. Ich habe hier ein Praktikum gemacht, als die Bibliothek umgebaut wurde. Ein Fünfzig-Pfund-Stück Trockenmauer ist von einem Gerüst gefallen und hat mich am Kopf erwischt. Ende der Geschichte.«
»Aber ...« Anya bemühte sich, ihre Frage taktvoll zu formulieren, denn sie hatte haufenweise Fragen über das, was danach kam. »... es gab kein helles Licht oder irgendwas, das dich angezogen hat?«
»Nein. Da war kein riesiger, glühender Staubsauger am Himmel, der meine Seele aufgesaugt hätte. Ich erinnere mich nur, eine Entscheidung getroffen zu haben: Bleiben oder Weiterziehen. Und da es hier noch so viele Bücher gab, die ich noch nicht gelesen hatte, und ich mir nicht vorstellen konnte, sie gar nicht zu lesen, bin ich geblieben. Ich meine ...« Sie schob die Hände in die Taschen. »Ich hatte gerade Die Möwe Jonathan angefangen, als das Ding mich getroffen hat. Ich konnte einfach nicht damit leben, nie zu erfahren, wie es endet.«
»Glaubst du, du wirst für immer hier bleiben?«
Felicitys Augen schweiften über die Bücher. »Was mein Leben nach dem Tode betrifft, so bin ich ziemlich zufrieden. Ich könnte vielleicht weiterziehen, wenn ich jedes Buch hier gelesen habe ... jedenfalls, wenn sie keine neuen anschaffen, die mich interessieren.« Ihre Augen funkelten, während sie sprach. »Also, ich schätze, ich werde ziemlich lang hier bleiben.«
Anya lächelte. »Hört sich immerhin nach einer angenehmen Art an, die Ewigkeit zu verbringen.« Nach einer weitaus angenehmeren, als der, die sie sich für die Geister vorstellte, die sie verschlungen hatte.
Sie schlug das Buch im Schoß auf und blätterte zu den farbigen Darstellungen des Serpent Mound in der Mitte. Es waren Luftaufnahmen, vom Alter bereits etwas verblasst. Aber die Krümmung des offenen Mauls schien beinahe identisch mit der von Ferrers Symbol zu sein. Die Bilder sahen genauso aus, wie sie es in Erinnerung hatte: Ein niedriger Hügel, auf dem kurz gemähtes Gras wuchs, in dem noch die Spuren des Rasenmähers zu sehen waren, umgeben von einem Wald.
Sie erinnerte sich, wie sie einmal in den Sommerferien mit ihrer Mutter dort gewesen war. Es war eine jener seltenen Gelegenheiten, zu denen ihre Mutter mit ihr einen Ausflug aus der Stadt heraus gemacht hatte, und Anya hatte zugesehen, wie das flache Agrarland von Michigan und dem nordwestlichen Ohio allmählich den sanften, bewaldeten Hügeln des südlichen Ohios gewichen war. Das war eine ganz andere Welt als die, in der Anya aufgewachsen war. Hier hockten Falken auf den Stromleitungen, Bussarde kreisten über
Weitere Kostenlose Bücher