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Flandry 1: Im Dienst der Erde

Flandry 1: Im Dienst der Erde

Titel: Flandry 1: Im Dienst der Erde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Poul Anderson
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Wasser sehr weit blicken. Deshalb war das Volk nach seinen Maßstäben kurzsichtig, und das Sehzentrum des Gehirns schien eine etwas geringe Verarbeitungskapazität zu besitzen. Andererseits nahm das Volk die taktilen, thermischen, kinästhetischen, olfaktorischen und dem Menschen weniger geläufigen Nuancen der Umgebung unglaublich scharf wahr. Die Luft über dem Wasser war ihnen feindlich; wie Menschen, die dem Wasser gegenüberstehen, empfanden sie vor der Luft ein instinktives Grauen, das sie zwar beherrschen, aber nicht abstellen konnten.
    Raum erlebte das Volk eher als Beziehung denn als Ausdehnung. Aus seinem Alltagsleben ergab sich die Vorstellung, dass er zwar grenzenlos, aber endlich sei. Expeditionen, die um den Globus gereist waren, hatten dieser Ansicht größeres Gewicht verliehen und sie verfeinert.
    Infolge dieser urtümlichen Auffassung wies die unterseeische Mathematik das Konzept der Unendlichkeit zurück. Ein Philosoph, mit dem Flandry sich mit Isinglas’ Hilfe unterhielt, versicherte ihm, es sei empirisch bedeutungslos, von einer Zahl zu sprechen, die größer wäre als N Fakultät, wobei N die Gesamtzahl der unterscheidbaren Partikel im Universum sei. Was könnte eine größere Zahl denn darstellen? In gleicher Weise erkannte er null zwar als nützliches Konzept an, das mit der Nullmenge korrespondiere, aber nicht als Zahl. Die kleinstmögliche Anzahl müsse der Kehrwert der größten sein. Von dort an könne man zählen, bis man N! erreiche, doch wenn man darüber hinaus weitermache, erhalte man absteigende Werte. Für das Seevolk war die Zahlenachse nicht linear, sondern kreisförmig.
    Flandry verstand von Mathematik nicht genug, um zu entscheiden, ob das System wirklich in sich konsistent war. Soweit er es beurteilen konnte, war es jedenfalls der Fall. Es schloss weiterhin merkwürdige Varianten der negativen, irrationalen und imaginären Zahlen ein, der Approximation, der Differentialgeometrie, der Algebra und vielem mehr, deren terranische Entsprechungen Flandry nicht kannte.
    Die Physik passte dazu. Raum wurde als gequantelt angesehen. Diskontinuitäten zwischen verschiedenen Arten von Raum wurden akzeptiert, wobei es sich um eine Weiterentwicklung der alltäglichen Erfahrung handeln konnte – der scharfen Grenze zwischen Wasser, festem Boden und Luft –, doch die Idee eines geschichteten Raumes stimmte gut mit experimentellen Befunden überein und zeigte enge Parallelen sowohl zu dem relativistischen Konzept eines Maßsystems, das sich von Punkt zu Punkt unterschied, als auch der wellenmechanischen Grundlage der Atomtheorie und des Hyperantriebs.
    Ebenso wenig konnte nach der Vorstellung des Volks die Zeit unendlich sein. Gezeiten, Jahreszeiten und der Rhythmus allen Lebens deuteten vielmehr auf ein Universum hin, das zuletzt in seinen Ursprungszustand zurückkehrte und einen Zyklus neu begann, sodass es semantisch bedeutungslos wäre, es als unendlich zu bezeichnen. Doch da es für das Volk keine Möglichkeit gab, die Zeit mit gleich welcher Genauigkeit zu messen, hatten die Philosophen daraus geschlossen, dass sie von ihrem Wesen her unmessbar sei. Sie bestritten die Möglichkeit einer Gleichzeitigkeit; wie könne man sagen, ein fernes Ereignis sei gleichzeitig mit einem nahen geschehen, wenn die Nachricht über Ersteres von einem Schwimmer überbracht werden musste, dessen Durchschnittsgeschwindigkeit sich nicht bestimmen ließ? Erneut war die Ähnlichkeit zur Relativitätstheorie beeindruckend.
    Die Biologie war in jedem makroskopischen Aspekt einschließlich der Erblehre gut entwickelt; die angewandte Physik kam nicht über das frühe Newton’sche Zeitalter hinaus, und Chemie war wenig mehr als ein Embryo. Aber Judas auf Jupiter, dachte Flandry, man gebe diesen Jungs ein bisschen Ausrüstung, die für den Gebrauch unter Wasser ausgelegt ist, und dann soll man mal sehen, wie sie loslegen!
    »Kommt schon«, sagte Steilschwimmer jetzt ungeduldig, »schwingt die Finnen. Wir wollen zur Riffburg.«
    Unterwegs bemühte sich Flandry, so gut er ohne jede Ausbildung konnte, um ein Bild von der Gesellschaftsstruktur. Die grundlegende Weltanschauung entzog sich ihm. Man konnte sagen, das Volk des Davidsterns sei zum Teil apollonisch und zum Teil dionysisch, doch das waren nur Metaphern, die von der Anthropologie schon längst als nutzlos verworfen waren, wenn man mit Nichtmenschen zu tun hatte. Die Politik (sofern man dieses Wort hier anwenden konnte) schien einfacher zu sein. Geselliger und

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