Flandry 2: Höllenzirkus
Zentimeter lang, hatten sie je zehn Beine mit Krallenfüßen, einen Schwanz, der in einem Zwillingsdorn endete, und einen Kopf, auf dem sich ein halbes Dutzend Antennen bewegten. Unter Mimirs Licht leuchteten ihre kompliziert gepanzerten Leiber purpurn.
Eine Sekunde lang fragte sich Flandry ernsthaft, ob er den Verstand verloren hatte. Den alten Berichten zufolge war Wieland unbelebt, war immer unbelebt gewesen und würde immer unbelebt bleiben. Etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Wo die Kälte so stark und dauerhaft war, die Luft so dünn, das Schwermetall so dominant, die Hintergrundstrahlung so hoch, entwickelte sich einfach kein Leben. Und selbst angenommen, eine sehr eigenartige Variante von Leben entwickelte sich doch, so war Mimir eine junge Sonne, die sich mit ihren Planeten erst vor wenigen hundert Megajahren aus einem Nebel verdichtet hatte, den frühere stellare Generationen mit Schweratomen angereichert hatten; das System hatte die Kondensation noch nicht einmal abgeschlossen, wie man an dem Dunst um die Sonne und an der Häufigkeit von Einschlägen riesiger Meteoriten sehen konnte; zum Entstehen von Leben war noch keine Zeit gewesen.
Diese Gedanken schossen Flandry durch den Kopf. Sie endeten, als die Gestalten sich mordlustig auf ihn stürzten.
Zwei landeten auf seinem Helm. Er hörte es klicken und spürte den erstaunlichen Aufprall. Als er an sich hinabblickte, sah er andere, die sich an seiner Taille festhielten, seine Beine umklammerten und seine Stiefel umschwärmten. Kiefer schlossen sich, Krallen gruben. Sie fanden die Gelenke seines Panzers und gingen an die Arbeit.
Kein Lebewesen, das kleiner war als ein llynathawrianischer Elefantenwolf, hätte auf die Legierungen und Kunststoffe, die Flandry einhüllten, einen Eindruck machen dürfen, doch er sah, wie die Späne sich ringelten und wie Flitter hinunterfielen. Er sah, wie Wasserdampf weiß aus dem ersten nadelfeinen Loch an seinem linken Fußknöchel aufstieg, und die Kreatur, die es gebohrt hatte, nagte geschäftig weiter.
Flandry brüllte etwas Obszönes. Er schüttelte einen Käfer ab, und es gelang ihm, ihn zu treten. Der Aufprall gegen solch eine große Masse schmerzte seinen Fuß. Der Käfer flog weder weit, noch wurde er verletzt, sondern stürzte sich sofort wieder ins Getümmel. Flandry versuchte, einen anderen abzulösen. Der Käfer hielt sich zu kräftig fest.
Flandry zog den Strahler, stellte ihn auf Nadelstrahl und niedrige Intensität, setzte die Mündung auf den Rückenschild und drückte den Abzug.
Das Wesen begann weder zu rauchen, noch explodierte es oder tat, was ein normaler Organismus getan hätte. Nach zwei oder drei Sekunden ließ es los, fiel zu Boden und blieb reglos liegen.
Der Rest setzte den besinnungslosen, wütenden Angriff fort. Flandry kochte die Käfer einen nach dem anderen von sich ab und erschoss die, die ihn noch nicht erreicht hatten, mit einer Reihe von Energiestrahlen. Kein Organismus dieser Größe und Kraft, mit dieser schweren Schale, hätte für seine kurzen, sparsamen Feuerstöße derart verwundbar sein dürfen.
Die letzten beiden hockten auf seinem Rücken, wo er sie nicht sehen konnte. Er stellte die Waffe auf Fächerstrahl und fuhr damit über seinen Lufterneuerer. Die Käfer fielen von ihm ab. Die Hitze ließ die Temperatur in seinem Anzug in die Höhe schießen und trieb die Luft noch schneller aus den etlichen Lecks. Flandrys Trommelfelle knackten schmerzhaft. Ihm dröhnte der Kopf und drohte schwindlig zu werden.
Nun zahlte sich seine Ausbildung aus: Obwohl er kaum wahrnahm, was er tat, knallte er Dichtpflaster auf die Löcher und leerte den Reservetank, um neue Atmosphäre zu erhalten. Erst dann setzte er sich hin, holte keuchend Luft, schauderte und befeuchtete sich endlich den mumientrockenen Mund am Wasserröhrchen.
Danach war Flandry imstande, die toten Käfer zu untersuchen. Nachdem er zwei von ihnen in seinen Rucksack gestopft hatte, kletterte er weiter. Vom Oberrand des Ringwalls aus entdeckte er das Wrack des Fliegers und rutschte über Schutthalden und Eisfelder dorthinunter. Der Aufprall hatte den Flieger buchstäblich zerschmettert, was die Untersuchung vereinfachte. Flandry hob einige Teile auf und kehrte zur Jake zurück.
Den Weg legte er in zunehmend grimmigem Schweigen zurück, das er auch kaum unterbrach, nachdem er sich wieder ins Boot eingeschleust hatte. Einsamkeit und Ungewissheit hatten Djana zermürbt. Sie eilte ihm entgegen und hieß ihn willkommen.
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