Flandry 2: Höllenzirkus
Ammoniak. Er stemmte sich gegen den Wind, spähte auf seinen Gyrokompass und schlurfte weiter.
Djana packte ihn am Arm. »Sollen wir nicht lieber warten?«, hörte er sie kaum durch den Lärm.
Er schüttelte den Kopf; dann fiel ihm ein, dass sie ihn nur noch schemenhaft sehen konnte. »Nein! Das ist eine Chance voranzukommen, ohne dass man uns sieht.«
»Endlich haben wir mal Glück. Gedankt sei Jesus Christus.«
Flandry sparte sich anzumerken, dass sie, wenn der Sturm endete, vielleicht unwiderruflich weit in unbekanntes feindliches Terrain vorgedrungen sein würden. Aber was hatten sie schon zu verlieren?
Während sie sich vorankämpften, glaubte er eine Weile, dass die Schallsensoren in seinem Helm das Rumpeln einer Maschine auffingen. Spürte er tatsächlich, wie der Boden unter einer großen sich bewegenden Masse vibrierte? Er änderte leicht die Richtung, ohne dem Mädchen etwas zu sagen.
In dieser Region hielt die Sonnenfinsternis zwei Stunden lang an. Die Station musste sich außerhalb der Zone befinden, in der Sonnenfinsternisse möglich waren und wo als zusätzlicher Vorteil Regin hoch am Nachthimmel stand. Wenn die Scheibe voll war, musste sie die Hemisphäre mit einem weichen Leuchten bescheinen, ein unfassbar schöner Anblick.
Dabei bezweifle ich, dass die Roboter sich je um das Panorama geschert haben, dachte Flandry, der auf den Boden starrte, um mit den Stiefeln nicht auf Felsen und Schneeflecken zu treten. Es sei denn vielleicht, der Zentralcomputer … ja, ich glaube es sogar. Das Imperium setzt voll bewusste Maschinen nicht häufig ein. Es besteht einfach wenig Bedarf daran, weil wir nicht mehr in unbekannte Teile der Milchstraße vordringen; deshalb weiß ich über sie wahrscheinlich weniger als meine Vorfahren. Trotzdem kann ich mir denken, dass ein derart leistungsfähiges ›Gehirn‹ notwendigerweise Interessen entwickeln muss, die über die reine Arbeit hinausgehen. Seine Funktion – sein Wunsch, wenn man anthropozentrisch sein will – bestand darin, seinen menschlichen Herren zu dienen. Doch zwischen den Schürfprobenanalysen, den Bauaufgaben und besuchenden Schiffen, wenn die Routinearbeit nur einen kleinen Teil seiner Kapazität in Anspruch nahm, hat es da seine Sensoren zum Nachthimmel gerichtet und ihn bewundert?
Tageslicht begann durch den fallenden Schnee zu schimmern. Der Wind erstarb zu einem Rauschen. Der Boden wurde abrupt flach. Bevor der Niederschlag ganz endete, war der Nebel wieder da; die frisch gefrorenen Gase sublimierten unter Mimirs Strahlen und kondensierten erneut in der Luft.
Flandry sagte leise und über Ultraschallsender: »Funkstille. Beweg dich so leise, wie du nur kannst.« Der Befehl war relativ überflüssig. Aus den Ohrenstopfen drang vernehmlich der digitale Kode, und vor ihnen wurde ein metallisches Rattern laut.
Erneut überraschte Wieland Flandry völlig. Er hatte erwartet, dass der Nebel sich langsam heben würde, wie es vor der Morgendämmerung geschehen war, und ihm und Djana Zeit gab herauszufinden, was um sie herum vorging, bevor sie wahrscheinlich bemerkt wurden. Seine Beobachtungen aus der Umlaufbahn hatten darauf hingedeutet. Minutenlang hüllte das Weiß sie auch wirklich in einen Schleier, doch zwei Meter weiter lösten sich feuchtes Eis und nasser Fels, gluckernde Bächlein und dampfende Pfützen in Nichts auf.
Der Nebel riss auf. Zwischen den Fahnen sah Flandry die Ebene und die Maschinen. Die Löcher verbreiterten sich mit rasendem Tempo, und der Nebel verwandelte sich in Wölklein, die nach oben stiegen und verschwanden.
Djana schrie auf.
Die Erkenntnis traf Flandry wie ein Schlag: Verdammt sei meine Einfalt! Warum habe ich nicht überlegt? Nach einer Nacht, die einen halben Monat gedauert hat, braucht es eine Weile, um alles wieder aufzuwärmen – aber nicht nach zwei Stunden. Und bei niedrigen Drücken geht die Verdunstung schnell. Was ich aus dem Raum gesehen habe und für Bodennebel gehalten habe, waren Wolken weiter oben wie die, die ich jetzt über uns verdampfen sehe …
Diese Überlegung lief in seinem Hinterkopf ab; vor allem achtete er auf seine Umgebung. Der Strahler sprang in seine Hand.
Obwohl der Berg nicht weit hinter ihnen lag, von einer wie mit dem Messer gezogenen Grenze an aufragte, hatten Djana und er den ersten Funkmast bereits passiert und befanden sich nun mitten auf der Ebene. Wie andere Maria auf Wieland auch war sie nicht vollkommen eben; das Mare wellte sich, und hier und dort ragten Felsnadeln und
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