Flandry 2: Höllenzirkus
Cnif wandte sich von ihm ab. In der engen Eingangskammer strich sein Schwanz über Flandrys Taille, und er streichelte den Menschen damit leicht: ein merseianischer Trost.
Schnell! Er maß leicht zwanzig Kilogramm mehr als du!
Flandry sprang Cnif an und legte ihm den Arm um die Kehle. Mit der rechten Hand schlug er den Stein auf den Punkt, wo Ohr und Kiefer zusammenliefen. Auf der Akademie hatte man ihm beigebracht, dass Merseianer dort ihre Schwachstelle hatten.
Der Hieb traf mit einem Knirschen. Der Aufprall riss Flandry beinahe den Stein aus der Hand. Der andere würgte, duckte sich und schlug mit dem Schwanz um sich. Flandry wurde an der Hüfte getroffen. Hätte Cnif mehr Platz zum Ausholen gehabt und mehr Hebelkraft, hätte er Flandry die Knochen zerschmettert. So aber verlor der Terraner nur den Halt und wurde zu Boden geworfen. Die Luft entwich aus seinen Lungen. Gelähmt lag er vor Cnif und sah die gewaltige Gestalt über sich aufragen.
Doch der Gegenangriff des Merseianers war eine reine Reflexhandlung gewesen. Einen Augenblick lang schwankte er, dann brach er auf Knie und Bauch zusammen. Bei seinem Aufprall dröhnte und schwankte der ganze Bus. Mit seinem Gewicht klemmte er Flandry das Bein ein. Als der Terraner sich wieder bewegen konnte, musste er kurz kämpfen, um sich zu befreien.
Flandry untersuchte sein Opfer. Cnif blutete zwar – im gleichen Hämoglobinrot wie ein Mensch –, aber er atmete. Als Flandry ein horniges Lid zurückzog, entblößte er das gewohnte, einheitliche Kohlschwarz eines Merseianerauges ohne den weißen Rand, der auf eine Kontraktion hingedeutet hätte. Gut. Flandry strich zitternd über den kahlen, kammbewehrten Schädel. Ich hätte dich nur ungern kaltgemacht, alter Junge. Natürlich hätte ich es, wenn nötig, getan, aber ungern.
Beeil dich, du sentimentaler Faselkopf!, ermahnte er sich selbst. Die anderen sind bald da, und sie haben Waffen.
Dennoch, nachdem er Cnif hinaus auf den Boden gerollt hatte, suchte er noch eine Decke, in die er den Merseianer wickelte; außerdem stellte er einen tragbaren Wärmofen eingeschaltet neben ihn.
Damit wären die Wissenschaftler in keinen ernsthaften Schwierigkeiten. Sie würden kalt, nass und hungrig sein. Ein paar von ihnen bekamen vielleicht Husten. Doch wenn Ydwyr nichts mehr von ihnen hörte, würde er ihnen einen Flieger schicken.
Flandry stieg wieder in den Bus. Er hatte zugesehen, wie er gelenkt wurde; außerdem lag dem Gefährt ohnehin ein Entwurf zugrunde, der bei der Technischen Zivilisation abgekupfert war. Die Handsteuerung fühlte sich für einen Menschen unbequem an, der Pilotensitz noch mehr. Trotzdem, es war auszuhalten.
Der Antrieb schnurrte. Die Beschleunigung drückte Flandry in den Sitz. Der Bus stieg auf.
Nachdem er in die Nacht hinaufgeschwebt war, hielt er kurz an und befasste sich eingehend mit Karten und Plänen. Die gestohlene Maschine zu behalten, wagte er nicht. Auf einer elektrizitätsfreien und so gut wie metalllosen Welt hätte man den Bus binnen kurzem geortet, sobald ein Schiff in die Umlaufbahn gestiegen war. Er musste irgendwo landen, an Vorräten mitnehmen, was er tragen konnte, und den Bus in eine beliebige Richtung davonschicken.
Aber wo sollte er sich verbergen, und wie lange könnte er sich auf dieser Welt halten, über der gerade der Winter einbrach?
Flandry rief sich in Erinnerung, was er von der merseianischen Basis wusste, und nickte. Der Schneefall bewegte sich vom Pol ausgehend nach Süden. Die Ruadrath verließen bald den Ozean oder waren wahrscheinlich sogar schon unterwegs. Seine Hoffnung auf Überleben war nicht sehr groß, aber seine Hoffnung, ordentlich Krawall zu schlagen, schon. Er legte einen Umwegkurs an, der letztendlich an den Küstenstreifen westlich der Barrierebucht führen würde.
XVI
Beim Erwachen hatte das Volk noch keine Namen. Er, der an Land Rrinn hieß, war nur ein Tier am Meeresgrund.
Dessen Veränderungen hatten ihn geweckt. Mit dem Pegel sank der Wasserdruck; niedrigere Temperaturen bedeuteten eine höhere Gleichgewichtskonzentration an gelöstem Sauerstoff, was sich in den recht flachen Gewässern spürbar auswirkte, in denen das Volk übersommerte; Strömungen änderten sich und mit ihnen der lokale Gehalt an Mineralien am Meeresboden. Von all dem ahnte Rrinn nichts. Er wusste nur, ohne zu wissen, was er wusste, dass der Kleine Tod vorüber war und er eine neue Kleine Geburt hinter sich hatte … auch wenn er diese Konzepte noch eine Weile
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