Flaschendrehen furioso: Roman (German Edition)
da ja genug Geld auf dem Tisch.« Sie deutete keck zu den Geldscheinen, die sich immer manierlicher in geordneten Stapeln auftürmten.
»Was hat das denn bitte damit zu tun?« Jetzt verstand Heiko gar nichts mehr. Wieder wippte sein Bein. Er musste Sandra stoppen.
»Ein bisschen Schmerzensgeld muss sein. Schließlich ist das doofe Geld ja auch an Annas Fuß schuld.«
Elli fiel auf, dass Sandra keinen Spaß mehr verstand, wenn es um das Leid und die Schmerzen ihrer Patienten ging.
»Schmerzensgeld? Hört, hört! Ich dachte, das ist nicht unser Geld!«, fragte Lutz extra laut, mit besserwisserischem Ton, ohne vom Zählen abzulassen.
Am Schrank stand Tina, seelenruhig damit beschäftigt, sich ein Weinglas herauszusuchen.
Die Dame fängt ja früh an, dachte sich Elli.
»Ick bleibe dabei. Ob Schmerzensgeld oder Finderlohn. Wir sollten uns jeder wat abzwacken und uns davon was Hübsches kofen.« Sie schenkte sich ein Glas ein und prostete den anderen zu. »Zur Feier des Tages, wa!«
»Ach ja? Zur Feier des Tages? Dann lasst uns alle mal schön anstoßen! Darauf, dass ich die nächsten Wochen mit geschwollenem Knöchel rumlaufen darf.« Jetzt wurde Anna langsam sauer.
Heiko sah seine Chance gekommen. »Eben! Dafür das Schmerzensgeld. Mein Mausilein hat ganz recht.« Er wollte Sandra über den Zopf streicheln, aber sie drehte sich weg.
Anna sah Heiko streng an. »Und an wie viel hast du da so gedacht? Eine feste Zahl oder einen Prozentsatz? Sollten wir womöglich auch eine kleine Abrechnung beilegen? Quittieren in unserem Namen? Absolut hirnrissig! Außerdem ist es Diebstahl.«
»Wer hat denn hier wen betrogen?« Wie ein Staatsanwalt, der ein Plädoyer für die Anklage hielt, stand Heiko nun mitten im Raum. »Wir wurden alle eiskalt abgezockt. Um unseren wohlverdienten Urlaub betrogen. Und wir sind garantiert nicht die Ersten. Das muss bestraft werden.«
Anna sagte nichts, denn dieses eine Mal hatte Heiko nicht ganz unrecht.
»Det is doch alles sonnenklar. Die Kohle gehört zwar dem Herrn Hausbesitzer, aber der hat uns alle mal so richtig verscheißert. Nur gerecht, wenn wir dem was heimzahlen.« Tina füllte ihr Glas nach.
»Jawoll! Dem Kapital dort Schmerzen zufügen, wo es am meisten weh tut. Es mit seinen eigenen Waffen schlagen. Das gefällt mir immer besser.« Lutz hatte Feuer gefangen, seine kleinen Augen leuchteten.
Zwar ging Heiko der Möchtegern-Che-Guevara weiterhin auf die Nerven, aber die Dinge fingen an, sich prächtig zu entwickeln.
Elli war erstaunt über die Dynamik, die das Geld auslöste. Erstaunt darüber, wie das wahre Ich ihrer nagelneuen Mitbewohner zum Vorschein kam. Erstaunt und zunehmend neugierig. Da war zum Beispiel Lutz. War er wirklich ein kleiner, verbohrter Klassenkämpfer? Ein blasser Massimo Leader für Arme? Oder war er schlicht und einfach nur vom Neid zerfressen? Wie würde er reagieren, wenn ihm plötzlich ein paar tausend Euro in die Hände fielen? Oder gar mehr? Ab wann war er käuflich?
»Wie viel is det denn schon?«, hörte sie Tina Lutz fragen.
»Wir zählen, aber es wird einfach nicht weniger.«
Elli sagte: »Ein Prozent, finde ich. Für jeden von uns.« Sie goss Öl ins Feuer. Völlig unnötig. Schon bereute sie es. Aber ihre Neugierde auf die Reaktionen war stärker.
Sofort drehte sich Anna ungläubig zu ihr. »Elli?«
»Ein sehr guter Vorschlag!«, lobte Heiko sie. Er rieb sich tatsächlich die Hände.
Trotz Yogamatte und Räucherstäbchen konnte Tina um einiges weltlicher und pragmatischer denken als ihr Freund. Zufrieden gönnte sich Tina den nächsten Schluck Wein. »Ein Prozent! Olé!«
»Wir dürften mittlerweile bei achthunderttausend sein«, klärte Lutz sie alle auf. »Nur eine grobe Schätzung.«
»Nach deinem mitreißenden Vortrag zur Weltfinanzlage erstaunt es mich, welche Buchhalterqualitäten du an den Tag legst.« Anna klatschte in die Hände. »Bravo!«
»Das ist doch alles ein Schmarrn!« Sichtlich erregt stampfte Carlo zum kleinen gekippten Küchenfenster, um es ganz zu öffnen. Er brauchte jetzt frische Luft. Sie alle brauchten frische Luft. »Sag, Sandra, wann kommt der Arzt?«
»In einer Stunde oder so. Der konnte sogar Deutsch.«
Wie es der Zufall wollte, schickte sich genau in diesem Moment ein warmer Hauch an, die Küche zu durchwehen, und fegte in einer spielerischen Geste die bereits mühsam geordneten Stapel wieder wild durcheinander.
»Hey! Mensch, Trampel! Fenster zu!«, schimpfte Heiko.
Aber der Münchner dachte nicht
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