Flashback
langen Abfahrt ins Flachland zu bewältigen. »In Denver gibt es einen Typen. Zu dem gehen viele Anfänger, um sich ihren Ausweis von der Fernfahrergewerkschaft zu holen. Zuletzt hab ich gehört, dass er zweihundert alte Dollar verlangt. Wahrscheinlich ist es inzwischen schon teurer.«
»Du hast recht. Ich hab das Geld nicht. Und Leonard auch nicht.«
Devereaux zuckte die Achseln. »Dann ist es sowieso egal.«
»Trotzdem hätte ich gern seinen Namen.« Val setzte sich aufrecht hin und rieb sich übers Gesicht, um wach zu werden. »Wenn ich eine NICC von der Gewerkschaft hätte …, könnte ich dann bei dir mitfahren?«
»Ich bin ein reiner Solofahrer«, knurrte Devereaux. »Ich setz mir keine pampigen Lehrlinge rein. Aber es gibt viele, die es machen. «
»Wer zum Beispiel?«
»Henry Big Horse Begay. Hat die halbe Zeit einen Jungen dabei, der bei ihm lernt. Und verlangt nicht viel dafür.« Erneut warf Devereaux ihm einen Blick zu. »Henry ist auch nicht schwul. Er mag junge Mädels, teilweise sogar sehr junge, aber von denen will anscheinend keine Fernfahrerin werden. Also nimmt der alte Begay Rotzlöffel wie dich unter seine Fittiche.«
»Wie viel ist ›nicht viel‹?«
Devereaux zuckte wieder die Achseln. »Kohle fürs Bier. Aber wenn’s drum geht, Lastwagenfahren zu lernen, sind ein paar Monate oder ein Jahr mit Henry Big Horse Begay wie Harvard oder Princeton oder eine von diesen Schulen für …, du weißt schon für einen, aus dem später mal jemand wird wie dein Granddad.«
Nervös leckte sich Val über die gesprungenen Lippen. »Meinst du, er lässt mich von Denver aus nach Osten mitfahren?«
Der Schwarze schüttelte den Kopf. »Der Konvoi kommt morgen nach Denver und macht dort einen Stopp von ungefähr zwölf Stunden, Junge. Wir liefern bloß unser Zeug in Denver aus und packen den Anhänger mit neuem Scheiß voll, der nach Osten soll. Dann schlafen wir eine Runde, und um zwei Uhr früh rollen wir auf der I-70 los nach Kansas City. Am Sonntag. Das reicht nicht mal, um den Spezialisten für NICCs zu finden. Und dann dauert es noch eine ganze Weile, bis so eine Karte fertig ist – meistens ungefähr zwei Wochen. Aber du musst sowieso erst mal das Geld auftreiben, um den Typen im Voraus zu bezahlen.«
Scheiße.
»Trotzdem, ich geb dir mal den Namen und seine letzte Adresse in Denver, die ich kenne.« Devereaux machte eine unbestimmte Geste. »In fünfzehn Kilometern machen wir eine Pinkelpause. Am besten, du steigst bei Henry ein und erzählst ihm, dass du bei ihm in die Lehre gehen willst. Er wird dir bestimmt erklären, warum das nicht einfach ist – warum es so wenige Anfänger schaffen, Fernfahrer zu werden –, aber wenigstens hältst du die alte Rothaut damit auf der Fahrt durch die Colorado Rockies bis zum Morgen wach.«
»Danke.« Mehr brachte Val nicht heraus. Er hatte ein beklemmendes Gefühl in der Brust.
Die restlichen Kilometer bis zur geplanten Pause schwieg Devereaux.
Die frühere Raststätte befand sich auf einem Höhenkamm, von dem aus man einen Blick auf ein achtzehn oder zwanzig Kilometer breites Tal hatte. Dahinter stieg die Interstate 70 wieder leicht an, hinauf in flache, felsige Berge. Doch Devereaux hatte Val auf dem GPS -Höhenmesser gezeigt, dass es ab hier bis nach Colorado fast nur noch abwärts ging.
Unten im sternenbeschienenen Tal kam von Süden her eine ungefähr dreißig Kilometer lange Schotterstraße und endete nach der
Interstateüberführung in einer verbrannten Zone, wo es früher einen von Indianern geführten Gemischtwarenladen, eine Tankstelle und einige zusammengedrängte Häuser und Wohnwagen gegeben hatte. Das alles war verschwunden, sogar die Baumreihe im Norden, die der kleinen Siedlung Windschutz geboten hatte.
Verschwunden waren auch die Toiletten. Vor über einem Jahrzehnt waren sie in die Luft gejagt worden. Allerdings hatte Val keine Ahnung, warum jemand extra hierhergefahren war und Munition oder Dynamit verschwendet hatte, um die Klos zu sprengen. Doch so war es einfach überall. Wenn Vandalismus in massive Zerstörung umschlug, das betonte sein Großvater immer wieder, wenn sich eine Gesellschaft von innen her in Stücke riss, dann ließ sich die Dynamik kaum mehr aufhalten. Jetzt gab es von Lastwagenfahrern ausgehobene Gräben in den Büschen, wo die Männer kacken konnten, weiter oben auf der Südseite der Raststätte zwischen den Wacholdersträuchern eigene Gräben für die Frauen und Felsvorsprünge über dem Tal, wo die
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