Flashback
schweigend auf der Interstate 24 nach Süden.
»Na schön«, bemerkte er schließlich. »Ich komme hier am 27. Oktober wieder durch – wenn es Ăttsé Hashké zulässt. Ich soll den ganzen Nachmittag an den großen Ladedocks am South Broadway sein. Ich halt nach dir Ausschau. Nach jetzigem Plan fährt der Konvoi um acht Uhr abends. Wenn du nicht kommst, bist du für mich gestorben.«
»Ich komme.«
1.13
SANTA FE, NUEVO MEXICO
DONNERSTAG, 16. SEPTEMBER
Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfälle. Die letzten einhundertzehn Kilometer von Las Vegas, Nuevo Mexico, bis nach Santa Fe wurden sie von paramilitärischen Pick-ups mit großkalibrigen Maschinengewehren auf der Ladefläche eskortiert.
Die drei Söldner, Sato und Nick wohnten im japanischen Konsulat in Santa Fe, dem früheren La-Fonda-Hotel am Stadtplatz. Joes Überreste wurden zur Einäscherung in den Keller des Komplexes gebracht.
Gleich nach der Ankunft führte Sato Nick und die anderen in die Klinik des Konsuls, die besser ausgestattet und moderner war als jede noch verbliebene medizinische Einrichtung in Denver. Während Nick und die anderen nur kurz untersucht wurden, wurden Satos Verbrennungen und Risswunden behandelt und sein gebrochener Arm in eine dieser neuen, polymorphen Sportmanschetten gesetzt, die schon im Verlauf des Heilungsprozesses einen vollen Gebrauch des Arms erlaubten. Das Ding nannte sich Smartcast und war in Amerika nur für Topsportler erschwinglich, die als Schablonen für ihre digitalen Inkarnationen dienten.
Nicks Gespräch mit Don Chosch-Achmed Nuchajew auf seinem Haciendagelände außerhalb der Stadt war für zehn Uhr vormittags angesetzt. Die Einladung, die an Mr. Nakamura gesandt worden war, enthielt eindeutige Bedingungen: Weder der Oshkosh noch Hideki Sato durften sich der Residenz des Don auf zwanzig Kilometer
nähern. Nick war aufgefordert, um halb zehn in der St. Francis Cathedral zu erscheinen. Allein.
Für den kurzen Weg vom Konsulat zur Kathedrale brauchte Nick ungefähr eine Minute. Und auch das nur, weil er trödelte, um die einhundertfünfundvierzig Jahre alte Kirche aus der Ferne zu betrachten, bevor er die Straße überquerte und sich auf der Treppe postierte. Von Dara wusste Nick, dass der Bau der neuromanischen Kathedrale mit ihren Zwillingstürmen von dem in Frankreich geborenen Erzbischof Jean-Babtiste Lamy 1869 begonnen und dann unterbrochen worden war, ehe sie 1887 ohne die Türme eingeweiht wurde, weil das Geld ausgegangen war.
Nick Bottom war das doppelt gestutzte Bauwerk immer merkwürdig vorgekommen.
Es war ein warmer, sonniger Tag, und Santa Fe roch wie immer im Herbst: eine Mischung aus dem süßen Duft brennender Pinyonkiefernscheite, den trockenen Blättern von den hohen alten Pappeln, die viele Straßen der Altstadt säumten, und Salbei. Dara hatte einmal bemerkt, dass keine andere Stadt in den Vereinigten Staaten so gut roch.
Damals, als Santa Fe noch Teil der Vereinigten Staaten war.
Jetzt gehörte die wohlhabende Stadt keinem Land mehr an. Nuevo Mexico erhob einen nominellen Anspruch, aber Santa Fe konnte mit seinem Geld eine eigene kleine Armee unterhalten und damit die Unabhängigkeit bewahren. Zum einen war die Stadt immer noch zweite Heimat für Filmstars, berühmte Schriftsteller und Wall-Street-Typen, zum anderen hatte sie in jüngerer Zeit auch von umfangreichen Investitionen der Japaner profitiert, die keine Lust hatten, in einem mexikanischen Dorf zu wohnen.
So war Santa Fe ähnlich wie Lissabon im Zweiten Weltkrieg zu einem Tummelplatz für Spione, Doppelagenten, pensionierte Glücksritter und internationale Kriminelle wie Don Chosch-Achmed Nuchajew geworden, die die malerische kleine Lehmziegelstadt
in ihrem wohlriechenden Tal am Fuß des Sangre de Cristos zu ihrer Residenz und Einsatzzentrale gemacht hattten.
Flüsternd stoppte ein schwarzer Mercedes S550 – vollelektrisch oder mit superteurem Wasserstoffantrieb – am Randstein. Drei Männer saßen im Auto, die alle die gleichen Havannahemden trugen; ihre Herkunft mochte schwer einzuordnen sein, aber ihr Beruf war leicht zu erkennen. Es waren harte Burschen. Hart über das gewöhnliche Maß reiner Söldner hinaus. Killer der fünften Generation von einem anderen Kontinent.
Der Mann auf dem Rücksitz öffnete die Tür und winkte Nick in den Wagen.
Nick sagte nichts, und auch die Gestalten in Guayaberahemden schwiegen, als sie die Stadt auf der Bishops Lodge Road in nördlicher Richtung verließen.
Nick
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