Flashback
der Schreibtischplatte. »Ich möchte aufrichtig bekennen, dass es niemals statthaft sein kann, einen Gast so zu behandeln, Nick Bottom, aber Sie sind natürlich nicht bloß ein Gast. Ihr Auftraggeber, Mr. Hiroshi Nakamura, hat ein Interesse daran – sowohl politischer als auch strategischer Natur –, meiner Existenz ein Ende zu setzen. Außerdem stehen ihm gewisse hyperkinetische Orbitwaffen zur Verfügung, denen die Japaner den schrulligen Namen Gee-Bears gegeben haben. Haben Sie diesen Ausdruck schon mal gehört?«
»Ja.« Nick musste davon ausgehen, dass Nuchajew von dem gestrigen Einsatz der Superwaffen gegen die Panzer erfahren hatte.
»Sie werden also verstehen«, fuhr der Don fort, »dass ich das Schicksal herausgefordert hätte, wenn ich Mr. Nakamura hätte wissen lassen, dass ich mich zu einem bestimmten Zeitpunkt mit absoluter Sicherheit auf meiner Hacienda aufhalte.« Er grinste. »Sie denken jetzt natürlich, dass ich paranoid bin, und da muss ich Ihnen
zustimmen. Für mich stellt sich nur die Frage, ob ich paranoid genug bin. Bitte setzen Sie sich, bevor Sie noch hinfallen.«
Nick setzte sich, bevor er hinfiel.
Don Chosch-Achmed Nuchajew erinnerte ihn an jemanden. Dann fiel es ihm ein. Anthony Quinn, der Schauspieler aus dem zwanzigsten Jahrhundert, den er und Val so gemocht hatten. Dabei sah Nuchajew gar nicht aus wie Quinn. Doch die Stimme und der leichte Akzent waren ähnlich, auch dieses überhebliche, amüsierte Lächeln. Außerdem war Nuchajew ethnisch ebenso schwer zuzuordnen wie Anthony Quinn, der Mexikaner, Indianer, Araber und Griechen dargestellt hatte. Sogar die kräftige Statur glich der des Schauspielers – breite Brust und Schultern, starke Unterarme und Hände.
»Und wo sind wir jetzt?«
Nuchajew lachte, als hätte Nick einen Witz gemacht. »An einem sicheren Ort. An einem Ort, von dem nicht einmal Ihr allgewaltiger Mr. Nakamura etwas weiß.«
»Er ist nicht mein allgewaltiger Mr. Nakamura«, bemerkte Nick bissig. »Und wenn er allgewaltig wäre, dann hätte er mich nicht engagieren müssen, um den Mörder seines Jungen zu finden.«
»Allerdings!« Don Chosch-Achmed Nuchajew reckte einen braunen Zeigefinger. »Warum hat er Sie also engagiert, Nick Bottom? «
»Ich habe so das Gefühl, dass Sie mich darüber aufklären wollen, warum mir Nakamura den Auftrag gegeben hat.«
»Das müssen Sie doch wissen, Nick Bottom«, entgegnete der Don. »Und selbst wenn Sie es nicht wissen, dann haben Sie bestimmt einen Verdacht.«
»Ich verdächtige jeden, und ich verdächtige niemanden.« Diesen Spruch hatte Nick anbringen wollen, seit er neun war. Wahrscheinlich war es der Sauerstoffmangel durch den Knebel, der ihn dazu gebracht hatte, ihn jetzt vom Stapel zu lassen.
Don Chosch-Achmed Nuchajew starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Dann warf er den Kopf zurück und lachte schallend.
Scheiße, der Kerl ist total durchgeknallt.
Nuchajew öffnete eine Schreibtischschublade und zog eine Schachtel heraus, die er Nick anbot. Zigarren. Nachdem Nick abgelehnt hatte, suchte sich der Don eine aus und spielte das ganze klassisch blöde Ritual durch: abbeißen, spucken (aus Filmen wusste Nick, dass vornehmere Typen das Ende der Zigarre abschnitten oder von einem Butler abschneiden ließen) und anzünden mit einem Feuerzeug, das er aus der Tasche seiner Kakihose kramte.
Nick glaubte noch immer, dass sich der Raum tief im Untergrund befand, aber die Klimaanlage funktionierte ausgezeichnet. Er bekam nur einen leichten Hauch vom Zigarrenrauch ab.
»Warum sollte einer der mächtigsten Männer der Erde ausgerechnet Sie engagieren, Nick Bottom?« Nuchajews Tonfall wurde rhetorisch. Nick hasste dieses aufgeblasene Getue. Es war eine Beleidigung für jeden intelligenten Menschen.
»Nakamura hat bereits mehrfach Untersuchungen zur Ermordung seines Sohnes durchführen lassen.« Zurückgelehnt in seinen Stuhl blies der Don blauweißen Rauch durch die Nase. »Die Polizei von Denver – mit Ihnen und ohne Sie –, FBI, Heimatschutz, seine eigenen Sicherheitskräfte, Keisatsu-chō … «
Wenn sich die nationale Polizeibehörde Japans tatsächlich in die Ermittlungen zum Mord an Keigo Nakamura eingeschaltet hatte, dann war das Nick völlig neu. Früher hatte die Keisatsu-chō eigentlich nur lokale Polizeiabteilungen beaufsichtigt und Normen vorgegeben – eine Behörde ohne die Machtfülle des FBI, die nicht einmal über eigene Beamten verfügte. Doch seitdem Japan in den Jahrzehnten nach dem Umbruch
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