Flashback
ersparen.«
»Ja, und wenn wir Schinken hätten, könnten wir uns ein Brot mit Schinken und Käse machen, wenn wir Käse hätten.«
Leonard blinzelte. Das war die erste Andeutung von Humor – wenn auch sarkastisch –, die sein Enkel seit langer Zeit erkennen ließ. Anscheinend hatte Begays Versprechen – die winzige Chance, sich dem Konvoi der Trucker anschließen zu können – einen Lichtstrahl der Hoffnung in Vals Dunkelheit geworfen.
»Wenn noch Busse fahren würden, könnten wir den Bus nehmen«, ächzte Leonard. »Vier Kilometer ist doch eine ideale Strecke für einen Stadtbus.«
Val erwiderte nichts. Selbstmordattentäter liebten amerikanische Busse, so wie palästinensische Terroristen vor Jahrzehnten Busse in Tel Aviv und anderen israelischen Städten geliebt hatten. U-Bahnen und Hochbahnen verkehrten noch in amerikanischen Großstädten, weil man Menschen und Gepäckstücke ziemlich wirksam scannen konnte – auch wenn sich landesweit mindestens eine Explosion im Monat nicht vermeiden ließ –, aber die Busse
waren nicht zu halten gewesen. Nach Leonards Auffassung war es ein großer Rückschlag für die Zivilisation, als die amerikanischen Städte ihren Busverkehr aufgaben.
Val legte sich den Riemen seiner kleinen Tasche über die Schulter, drehte sich um und nahm seinem Großvater die schwerere Reisetasche ab. Er sprach kein Wort. Schweigend gingen sie weiter, Val immer einen Schritt voraus. Leonard fiel auf, dass der Junge die rechte Hand frei hielt. Die Pistole steckte links im Gürtel unter der Jacke.
Leonard bedauerte es, dass er nicht in Turnschuhen aus Los Angeles geflohen war, sondern in diesen Halbschuhen. Seine Füße waren schon so geschwollen, dass ihm jeder Schritt wehtat. Eigentlich hatte er geglaubt, dass ihn der tägliche, knapp einen Kilometer weite Spaziergang zum Echo Park in Form hielt, aber das war offensichtlich nicht der Fall.
Nach den letzten Nachrichten, die er im Lastwagen von Julio und Perdita gehört hatte, waren die schlimmsten Kämpfe in Los Angeles und den Vorstädten vorbei, und die Truppen der Reconquista befanden sich auf dem Rückzug nach San Diego. Die Nationalgarde von Kalifornien und mehrere paramilitärische Verbände hatten die Kontrolle über die Interstate 25 und den Küstenabschnitt von Long Beach bis Encinitas zurückgewonnen. Diese Entwicklung wurde als herber Rückschlag für die Expansion von Nuevo Mexico bezeichnet.
Leonards Gefühle in dieser Sache waren gemischt. Als Amateurhistoriker war ihm bewusst, dass sich die USA ins Unrecht gesetzt hatten, als sie in den 1840er Jahren die südwestlichen Staaten von Mexiko annektierten. Aber er war auch einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen, die sich an die Unruhen 1992 in L.A. erinnerten, nachdem Polizisten, die einen Mann namens Rodney King zusammengeschlagen hatten, freigesprochen worden waren. In weniger als einer Woche wurden tausend Feuer gelegt – und viele
der niedergebrannten Gegenden waren auch vierzig Jahre später noch nicht wiederaufgebaut. Über fünfzig Menschen fanden den Tod, zweitausend wurden verletzt.
An diese Unruhen hatte Leonard am Morgen denken müssen, als er hörte, dass eine ganze Kompanie Reconquistainfanteristen von einem Mob aus ihren Truppentransportern gezerrt und getötet worden war. An der gleichen Stelle – der Kreuzung Florence und South Normandie Avenue – waren auch 1992 Lastwagenfahrer und andere Unbeteiligte aus ihren Fahrzeugen gerissen und attackiert worden. Laut NPR waren über zweihundert Reconquistakämpfer umgekommen. Die schwarzen Aufrührer waren weiter in den Osten der Stadt gezogen und hatten alles niedergebrannt, was ihnen nach dem Rückzug der Verbände von Nuevo Mexico in die Quere kam.
Das erfüllte Leonard mit Unruhe. Er fragte sich, wie es seinem Freund Emilio Gabriel Fernández y Figueroa und dessen Sohn Eduardo ging. Er wünschte ihnen alles Gute. Emilio hatte zwar eine Bezahlung dafür gefordert, dass er ihnen vor neun Tagen zur Flucht aus Los Angeles verhalf, aber für George Leonard Fox bestand nicht der geringste Zweifel, dass der Mexikaner Val und vielleicht auch ihm das Leben gerettet hatte.
Leonard merkte, dass Val ihn vom abgesenkten Weg am Cherry Creek über eine Treppe hinauf zum Gehsteig neben dem Speer Boulevard geführt hatte. Unten auf dem Weg waren inzwischen weniger Fahrradfahrer zu sehen, dafür umso mehr Obdachlose.
Gerade hatte er an Fort Alamo gedacht. Vor Jahren hatte er einmal den Aufsatz eines Freundes lektoriert,
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