Flashback
merklichen japanischen Hauch.«
Nick tappte im Dunkeln. Eigentlich konnte er sich nicht vorstellen, dass Sato jemanden liebte, erst recht kein Kind, das nicht einmal japanisch aussah. Gab ihm der Alte hier ein Rätsel auf, das er lösen sollte?
»Sie haben wieder in der Vergangenheit gesprochen, Omura-sama. Ist die Tochter von Satos Konkubine ebenfalls gestorben?«
» Hai. «
»Eines natürlichen Todes?« Nick erkannte seine bewährte Polizistenstimme: Mit tausend blöden Fragen so lange auf den Busch
klopfen, bis die gesamte Vegetation niedergetrampelt ist und nur noch das Gesuchte in die Höhe ragt.
Oder auch nicht.
Omura beugte sich vor. Aber er ging nicht auf die Frage ein, zumindest nicht direkt. »Wie Sie wissen, Nick, ist Hideki Sato ein Daimyō mit eigenen Vasallen, Soldaten und Keiretsuinteressen. Doch Hiroshi Nakamura ist sein Lehnsherr. Sato ist Nakamuras Vasall.«
»Mhm.«
»Und als Hideki Satos Macht und Einfluss für Nakamuras Geschmack zu groß wurden, hat er nach alter japanischer Feudaltradition verlangt, dass Oberst Sato ihm seine geliebte Tochter als Geisel übergibt, sozusagen als Garantie für Satos ungebrochene Diensttreue.«
»Meine Güte«, flüsterte Nick.
Omura nickte. »Ich glaube, dieses Vorgehen, das geliebte Kind eines Vasallen oder Feindes als Faustpfand gefangen zu halten, war auch im europäischen Mittelalter verbreitet.«
»Aber inzwischen sind wir im einundzwanzigsten Jahrhundert …« Nick bemerkte seinen selbstgerechten Tonfall und verstummte. Die meisten Jahre dieses Jahrhunderts waren ein einziger Rückfall in die Barbarei gewesen mit Sippen, Zaren, Gottesstaaten und Kriegsherren, ein Rückfall in ein gewalttätiges, wenn auch einigermaßen stabiles Feudalsystem. Das galt auch für die Vereinigten Staaten.
»Sie ist als Nakamuras Gefangene gestorben?« Nick ahnte, dass hier etwas Bedeutsames verborgen lag.
»Sagen wir, dass sie ihr Ableben arrangiert hat.« Omuras Augen wirkten traurig. »Aus Scham.«
»Scham, weil sie eine Geisel war? Weil sie … was? Weil sie Satos Kind war? Weil sie ein Unrecht begangen hat? Das kapier ich nicht.«
Omura schwieg.
»Der Sato, den ich kenne, wäre sicher durchgedreht«, meinte Nick schließlich. »Er hätte Nakamura und jeden anderen umgebracht, der auch nur entfernt am Tod seiner Tochter beteiligt war.«
Omura schüttelte den Kopf. »Sie verstehen uns nicht, Nick. In den letzten Jahren sind wir weitgehend zum Bushido und zum früheren feudalen Leben und Denken zurückgekehrt. Das wird uns helfen, als Kultur und als Volk zu überleben. Wenn ein Mann bereit ist, für seinen Lehnsherrn sein Leben zu geben oder es sich sogar zu nehmen , dann muss er auch bereit sein, seine ganze Familie zu opfern, wenn es der Wille seines Herrn ist.«
»O Mann. Sato hat also nach dem Tod seiner Tochter nichts unternommen? «
»Das habe ich nicht behauptet«, antwortete Omura. »Ich habe nur gesagt, dass er keine Rache geübt hat. Es gibt noch eine andere Sache, die wir besprechen müssen, bevor Sie aufbrechen, Nick.«
Nick schielte auf seine Uhr. Allmählich wurde es spät. Ambrose würde sich ins Zeug legen müssen, um ihn noch rechtzeitig zum Flughafen zu bringen. »Ja?«
»Wissen Sie, warum Nippon sich bei dem Krieg in China engagiert, Nick?«
»Ich glaube schon, Omura-sama. Japan hatte sich zu Beginn des Jahrhunderts durch seine stark gesunkene Geburtenrate an den Rand des Untergangs gebracht, zumindest war es auf dem besten Weg dazu. Durch die sogenannte U N-Friedensmission im bürgerkriegszerrissenen China – und das Engagement amerikanischer Truppen für diese Aufgabe – verjüngt sich Japan mit fast einer Milliarde junger Chinesen. Neue Häfen. Neue Produkte. Frische Arbeiter. Und alles in einem Großjapan mit zwei Schichten, wobei die obere immer von Japanern besetzt bleibt.«
»Allerdings werden die Chinesen und andere nicht mehr wie früher als Sklaven angesehen«, warf Omura rasch ein. »Das hat
sich geändert. Im Gegensatz zum ersten Daitoa senso – dem Pazifikkrieg – wird es kein Massaker von Nanking geben. Und es wird auch nicht zu einem erneuten Versuch der Japaner kommen, Shido minzoku zu werden – die Herrenrasse der Welt.«
Nick zuckte die Achseln. Im Grunde interessierte es ihn nicht besonders, wie sich die Japaner selbst sahen.
»Denn das ist sowieso alles nur Vorbereitung«, fügte Omura hinzu.
»Vorbereitung wofür?«
»Für den eigentlichen Krieg, Nick.«
»Den eigentlichen Krieg mit … China? Indien?
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