Flashback
Assistent des Hadschis, der nicht älter war als Val und einen ersten Bartflaum zur Schau stellte – er trug einen arschcoolen Patronengurt über der Weste und dem Kakihemd –, hielt das Shirt in die Höhe, das Coyne sehen wollte.
Zuerst war in der Mitte des T-Shirts nur ein kleiner Fleck. Doch der Fleck wurde größer und schließlich zu einem Mann mit nacktem Oberkörper, der auf den Betrachter zusteuerte. Bald war das Gesicht des Mannes zu erkennen: Wladimir Putin.
»Scheißgeilcool«, krähte Sully.
»Schnauze, Sully«, meinte Coyne.
Putin marschierte weiter auf Coyne zu, bis der athletische Oberkörper, die muskulösen Arme und der Kopf des Zaren den Rücken des T-Shirts füllten. Dann war nur noch Putins Gesicht zu sehen. Zuletzt bloß die zusammengekniffenen Augen.
»O Gott, der muss doch schon hundertfünfzig Jahre alt sein.« Monks Stimme klang gedämpft im Beisein des dienstältesten Machthabers der Welt. Und bei Putin verband sich Macht auch mit körperlicher Kraft.
»Erst achtzig«, er widerte Val, ohne zu überlegen. »Er wurde 1952 geboren, sechs Jahre vor meinem Großvater.«
»Klappe«, fauchte Coyne. »Hör lieber zu.«
Das Putinbild wandte den Kopf, um Coyne direkt anzuschauen. » Mojo sudno na wosduschnoj poduschke polno ugrej .« Jede Silbe knallte wie ein Schuss.
Coyne schüttelte sich vor Lachen.
Val fuhr herum. Versteht Coyne diesen russischen Scheiß etwa? War Billy the Kids Mutter Russin? Val konnte sich nicht erinnern.
»Was heißt das, Coyne?«, fragte Monk. »Was sagt er?«
Coyne winkte ab und wandte sich an Putins Augen. » Wladimir Wladimirowitsch, skolko eto stoit? Futbolka? «
Plötzlich schossen der Kopf und die breiten Schultern Putins aus dem Shirt. Val fuhr einen Schritt zurück. Irgendwie war das noch unheimlicher als der Dahmerkannibale.
»Achthunderttausend Bucks«, sagte Putin in breitem Akzent. Schmallippig lächelte er Coyne an und warf Blicke in Richtung der anderen. Toohey, Cruncher, Dinjin, Sully und Gene D. wichen ebenfalls zurück.
»Neue Bucks.« Putins Lächeln wurde noch dünner. »Willst du mir Nudeln an die Ohren hängen, druschok ?«
» Njet .« Wieder lachte Coyne schallend. » Dawajte pereidjom na ›ty‹, Wladimir Wladimirowitsch .«
» Poschol ty! « Der Putin-AI lachte gehässig.
Ohne sich um eine mögliche Abfuhr von Coyne zu kümmern, fragte Val: »Was heißt das?«
»So was wie Leck mich.« Coynes Lachen hatte unheimliche Ähnlichkeit mit dem des Putin-AI.
»Was hast du zu ihm gesagt?«
»Egal.« Coyne wandte sich an den bärtigen Hadschi. »Ich nehm das Putinshirt.«
Der Hadschi scannte Coynes NICC und musterte den Jungen voller Respekt. Der Teenager mit dem Patronengurt faltete das T-Shirt zusammen und wollte es in eine Papiertüte packen.
»Nein, ich zieh’s gleich an.« Coyne knöpfte sein blaues Flanellhemd
auf, warf es in eine Mülltonne und schlüpfte in das neue Shirt. Val bemerkte die Beretta, die hinten in Coynes Hosenbund steckte. Coyne schien sich nicht darum zu kümmern, ob jemand die Waffe gesehen hatte.
» Krutoi paren «, bemerkte Putins Gesicht, das jetzt die Vorderseite des Shirts füllte.
»Was heißt das?«, quengelte Monk.
»Harter Bursche.« Coyne zupfte den Shirtstoff ein wenig nach oben, um das Gesicht sehen zu können. »Du bist kljowy blin , alter Kumpel. Echt scheißcool. Und ein schischka . Aber jetzt halt den Mund, solange wir einkaufen.«
Die acht Jungs verteilten sich, um weniger aufzufallen. Außerdem interessierten sie sich auch für unterschiedliche Dinge.
Toohey, Cruncher, Dinjin und Sully zogen los, um sich die Raubkopien von neuen Spielen aus Japan, Russland, dem Vereinigten Korea, Indien und anderen Hightechländern anzuschauen. Gene D., der immer noch knallrot war, weil ihn der Dahmer-AI als pickelig bezeichnet hatte, stakste alleine weiter. Monk folgte Coyne, der durch die Stände schlenderte, um teure – nichts unter einer Million neue Bucks – Virtual-Reality- und andere optische Geräte zu inspizieren. Val ließ sich dahintreiben, ohne die Rufe der Händler und das Drängen der Menge zu beachten – wegen Taschendieben musste er sich keine Sorgen machen, weil er weder Geld noch NICC dabeihatte.
Ein langer Tisch, hinter dem zwei Hadschiafghanen in staatlicher Talibankleidung postiert waren, quoll über von Tarnjacken, Springerstiefeln und billiger amerikanischer Panzerkleidung. Dinjin und die Jüngeren, die diesen Müll noch gern anzogen, erzählten immer, dass diese
Weitere Kostenlose Bücher