Flashback
Surplusbestände von toten US-Soldaten in China und Südamerika stammten. Meistens gab es auch mindestens einen blutverschmierten oder zerfetzten Drachenpanzer aus Kevlar, der diese Theorie stützte. Aber Val wusste, dass das meiste davon einfach
während der langen, von Korruption gekennzeichneten Transporte der US-Soldaten gestohlen worden war, die als Söldner an ständig wechselnden Fronten für Japan und Indien kämpften.
Als jemand, dem in knapp einem Jahr die Einberufung bevorstand, hatte Val nicht die geringste Lust, abgelegte Klamotten von amerikanischen Soldaten zu tragen. Nicht mehr lange, dann bekam er eigene Stiefel, Uniform, Tarnkleidung und den subduralen Barcode.
Billy Coynes älterer Bruder Brad hatte sich von seinen Eltern von der Wehrpflicht freikaufen lassen. Danach hatte er sich der Aryan Brotherhood angeschlossen und sich dort ebenfalls in eine Art Uniform stecken lassen. Allerdings mit viel leistungsfähigerer Panzerkleidung und cooleren Waffen als die schlecht ausgerüsteten US-Soldaten, die gegen Warlords und Hugonistas eingesetzt wurden. Inzwischen war Brad nach Russland gegangen, um sich der dortigen Mafia anzuschließen. Diese Geschichte über Brad hatte wesentlich zu Coynes Ansehen als Anführer ihrer jämmerlichen Flashgang beigetragen.
Als Val seinem Großvater von Brad erzählte – zumindest den Teil, dass ihn seine Eltern von der Wehrpflicht freigekauft hatten – und fragte, ob das nicht auch bei ihm selbst möglich war, starrte Leonard ihn nur an, als hätte sein Enkel den Verstand verloren.
Manchmal tat es Val leid, dass er beim Anblick von Coynes Beretta sofort daran gedacht hatte, seinen Großvater umzubringen. Schließlich konnte der nichts dafür, dass er so ein Volltrottel war. Er war einfach an der Universität dazu ausgebildet worden.
Val kam zu einem teuren Tisch, wo verschiedene flexible und mikrodünne 3-DHD-Monitore zum Zusammenrollen und -falten vorgeführt wurden. Auch dieser Stand wurde von Hadschiimporteuren betrieben. Val war klar, dass der Samstagsmarkt unter freiem Himmel der sicherste Ort in ganz Los Angeles war, da es äußerst
unwahrscheinlich war, dass sich ausgerechnet hier ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte. Auf den präsentierten Monitoren lief die unvermeidliche englischsprachige Al-Dschasira-Ausstrahlung von Steinigungen und Enthauptungen, aber zwischendurch wurden auch verschiedene Nine-eleven-Feierlichkeiten im In- und Ausland gezeigt.
Mehrere Übertragungen kamen aus der relativ neuen Shahid-al-Haram-Moschee, die auf dem sogenannten Ground Zero in New York errichtet worden war. Val fand die Moschee schön, ein höherer, eleganterer und pechschwarzer Taj Mahal. Gerade wechselten sich der New Yorker Bürgermeister, der Vizepräsident der USA und der Oberimam von New York mit hoffnungsvollen Reden in der Nähe des Lochs ab, wo sich früher dieses blöde World Trade Center erhoben hatte. Danach hatte man es mit dem Nine-eleven-Denkmal und einem neuen Freiheitsturm versucht, die beide ebenfalls zerstört wurden.
Val leuchtete es ein, dass an dieser Stelle die größte Moschee Nordamerikas errichtet worden war. Auf eine Moschee wurde kein Anschlag verübt. Allerdings war ein Attentat vonseiten der schiitischen Islamischen Großrepublik nicht ganz ausgeschlossen, wie Val von Leonard wusste, da die Shahid-al-Haram-Moschee sunnitisch war. Leonard hatte ihm auch erklärt, dass der Name der Moschee »Märtyrer der heiligen Stätte« bedeutete, was wohl einige altmodische Reaktionäre und eingefleischte amerikanische Imperialisten auf die Palme gebracht hatte.
Aber vor ein paar Wochen war Val in das kleine Fernsehzimmer in ihrer kleinen Kellerwohnung gekommen, als sich sein Großvater gerade eine Sendung ansah, in der die Shahid-al-Haram-Moschee und zweihundert weitere große, neue Moscheen gepriesen wurden, die gerade in den USA errichtet wurden oder schon fertiggestellt waren – allerdings nicht in der Republik Texas, die nicht zu den Vereinigten Staaten gehörte und für Moscheen nichts übrighatte.
Und Leonard hatte leise vor sich hin geflennt. Hatte der Alte nicht mehr alle Tassen im Schrank?
Verlegen hatte ihm sein Großvater erzählt, dass er nur einen Schnupfen habe, aber Val war erschrocken und ins Grübeln geraten. Was mache ich, wenn Leonard auf einmal Alzheimer bekommt?
Doch am nächsten Tag, bei einem ihrer seltenen gemeinsamen Abendessen aus der Mikrowelle, hatte ihm sein Großvater in oberlehrerhaftem Ton gepredigt, wie es an
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