Flashback
festlichen Stimmung in der ganzen Metropole. Alle acht Gangmitglieder kletterten vom Gerüst auf die abgebrochene Platte der I-10 und beobachteten kurz das Spektakel unten in der Stadt. Toohey, Cruncher und Dinjin jubelten, bis sie merkten, dass die älteren Jungen stumm blieben. Danach hielten sie den Mund, rissen aber weiter die Fäuste hoch, wenn eine Rakete an der Wand eines Wolkenkratzers zerplatzte.
Als sie sich den Marktständen zuwandten, sah sich Val daran erinnert, warum von hier oben, von dem Restabschnitt des Highways so viele Schüsse abgefeuert worden waren: Die meisten der sogenannten fahrenden Händler waren Hadschis – oder hatten zumindest Vorfahren aus dem Nahen Osten –, und der Großteil ihrer hochwertigen Waren stammte aus ihrer Heimat in Pakistan, Indonesien, den Eurokalifaten oder der Mutter aller Kalifatnationen, der Großislamischen Republik, die sich wie ein Krummsäbel über die früheren Länder des Nahen Ostens erstreckte – Libanon, Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, Tunesien, Sudan. Im Gegensatz zu allen anderen Kids, die er kannte, hatte sich Val in der Schule für Geografie interessiert und rief sogar manchmal mit dem virtuellen Monitor seines Telefons Landkarten auf, um sie zu studieren. Es war erstaunlich, wie schnell sie sich änderten.
Auch Geschichte faszinierte ihn, aber daran war wohl sein Großvater schuld. Leonard laberte so viel darüber, dass es einfach irgendwie auf Val hatte abfärben müssen, als er noch jünger war.
Val wunderte sich, dass diese Handtuchköpfe es sich leisten konnten, so oft über die Meere zu fliegen, wo doch Inlandsflüge in den USA Millionen neue Bucks kosteten. Wahrscheinlich weil sie so viel Gewinn mit dem kotzgeilen Schrott machen, den sie hier verscherbeln.
Aber er musste zugeben, dass das meiste davon wirklich guter kotzgeiler Schrott war.
Die doppelte Zeile von Marktständen zog sich ungefähr hundert
Meter weit hin, und in dem Gang zwischen den hellerleuchteten, überdachten Tischen drängten sich bereits frühe Besucher. Coyne stupste Val an und deutete fast unmerklich mit dem Kopf in beide Richtungen. Val verstand, was er meinte: An jedem Ende des Marktes hatte sich ein Paar Cops vom LAPD in schwarzer Panzerkleidung postiert, und am Himmel schwirrten Minidrohnen herum. Die stumpf schimmernden Waffen der Polizisten erinnerten ihn daran, warum sie hier waren.
Aber zunächst folgten sie Toohey, Monk und den Jüngeren zu den Ständen, wo Fun angesagt war.
Hinter den bärtigen Männern an einigen Tischen standen Frauen. Die meisten von ihnen trugen Hidschabs, einige jedoch auch volle Burkas. Val fielen die hellblauen Augen einer jungen Frau in Burka auf, und er hätte schwören können, dass sie Cindy aus dem Sozialkundekurs am Mittwoch gehörten. Er hatte ihre Augen im Unterricht oft genug gesehen.
»Rotzcooles Zeug«, plärrte Sully. »Voll rotzcooles Zeug!«
Die Jungs drängten sich um die Tische mit den interaktiven T-Shirts. Das waren hochwertige Klamotten, und das meiste davon kostete fünfhunderttausend neue Bucks aufwärts, aber Coyne hatte irgendwie immer Kohle auf seiner Karte, also riskierten alle Gangmitglieder einen Blick.
Ein alter Hadschi mit Zottelbart hielt ein langes, besonders teures schwarzes T-Shirt hoch. Das 3-D-Bild von Jeffrey Dahmer – einem früheren Serienmörder, der seit Beginn der HBO-Serie mit Gillie Gibson wieder voll im Blickpunkt der Öffentlichkeit und der Wissenschaft stand – lief über den ganzen Rücken des Shirts. Der Kannibale – nicht der Schauspieler, sondern der echte Dahmer – war dabei, die leere Augenhöhle eines seiner Opfer zu ficken. Als sich Gene D. dem Shirt näherte, unterbrach Dahmer seine rasenden Bewegungen und schielte über die Schulter zu dem Jungen, den Schädel immer noch an den Unterleib gepresst. Wie aus einem
Ölsee schob sich Dahmers Gesicht aus dem schwarzen Stoff, und der AI meldete sich mit einer Stimme aus der Hölle: »Du da …, ja, du, der pickelige Typ im roten Hemd … Ich hätte hier noch eine freie Augenhöhle. Willst du mitmachen?«
Erschrocken sprang Gene D. zurück. Die sieben anderen Jungs und zwanzig oder dreißig Marktbesucher in der Nähe brüllten vor Lachen. Die alten Weiber in Burkas kicherten und wandten sich sittsam ab, während sie den Schleier lüfteten. Der Hadschi mit dem T-Shirt ließ durch das Drahtgeflecht seines Zottelbarts fehlende Zähne erkennen.
»Das da interessiert mich.« Coyne deutete auf ein T-Shirt weiter hinten. Ein
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