Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Cottlestone ausheben. Dabei ist ein Stück vom Rand weggebrochen, und sein Spaten ist in die Grube gefallen. Als er den Spaten mit dem ausgestreckten Arm nicht herausfischen konnte, musste er kopfüber hinein … Willst du das wirklich hören?«
Ich nickte so heftig, dass mir fast der Kopf abfiel.
»Ganz unten in der Grube, neben dem Spaten, lag ein mumifizierter Fuß.«
»Ausgeschlossen! Der Fuß kann unmöglich zweihundert Jahre überdauert haben!«
»Mr. Haskins meinte, unter bestimmten Bedingungen geht so was schon. Es hat mit der Zusammensetzung der Erde zu tun.«
Aber klar doch! Adipocire! Leichenwachs!
Wenn ein Leichnam in feuchtem Boden bestattet wird, kann er sich auf wundersame Weise verwandeln. Bakterien arbeiten unter Sauerstoffabschluss weiter und spalten das Fettgewebe in Palmitin-, Olein- und Stearinsäure, die dann weiter reagieren und die Leiche in einen Seifenklumpen verwandeln können.
Daffy fuhr mit gesenkter Stimme fort: »Kurz davor hatte Mr. Haskins den Boden in der Krypta mit rotem Ziegelstaub ausgestreut. Er wollte feststellen, ob die Ratten vom Flussufer in die Kirche gelangen konnten.«
Ich erschauerte. Es war noch kein ganzes Jahr her, dass ich in einer Grube am Flussufer in der Falle gesessen hatte. Ich wusste nur zu gut, dass die Ratten kein Hirngespinst meiner Schwester waren.
Daffy riss die Augen auf und senkte die Stimme zu einem tonlosen Flüstern: »Und weißt du was?«
»Was?«
Unwillkürlich flüsterte ich auch.
»Die Fußsohle war rötlich verfärbt, als sei …«
»Cassandra Cottlestone!« Ich hätte beinahe laut aufgeschrien. Die Haare standen mir zu Berge, als wäre mir ein eisiger Windstoß in den Nacken gefahren. »Sie ist … sie wollte …«
»Ganz recht«, sagte Daffy.
»Das glaub ich nicht!«
»Dann glaubst du’s halt nicht. Ich liefere dir hier Tatsachen, und du hast nur zu meckern! Verzieh dich!«
Ich war ihrem Wunsch nachgekommen.
Während ich meinen Gedanken nachhing, hatte Feely zu schluchzen aufgehört und schaute jetzt mit leerem Blick aus dem Fenster.
»Wer ist denn das arme Opfer?«, fragte ich, um sie ein bisschen aufzumuntern.
»Welches Opfer?«
»Du weißt schon, der bedauernswerte Tropf, den du zum Altar schleifen willst.«
»Ach so.« Sie warf ihr Haar zurück und antwortete erstaunlicherweise, ohne dass ich lange nachbohren musste: »Ned Cropper. Ich dachte, das hättest du bereits am Schlüsselloch mitgekriegt.«
»Ned? Aber den kannst du doch nicht ausstehen!«
»Wie kommst du denn darauf? Ned gehört eines Tages das Dreizehn Erpel. Er will den Laden von Tully Stoker übernehmen und alles umbauen: Tanzkapellen, Dartscheiben auf der Terrasse, Boccia … Er will frischen Wind in den alten Schuppen bringen, damit das Dreizehn Erpel endlich im zwanzigsten Jahrhundert ankommt. Damit wird er Millionär! Wart’s nur ab.«
»Du spinnst doch.«
»Na gut, wenn du’s unbedingt wissen willst, es ist Carl. Er hat Vater um Erlaubnis gebeten, mich zu Mrs. Pendracka zu machen, und Vater hat eingewilligt – hauptsächlich, weil er Carl für einen Nachfahren von König Artus hält. Ein Enkel mit so einem Stammbaum würde Vater sehr stolz machen.«
»Quatsch. Du willst mich bloß auf den Arm nehmen.«
»Dann ziehen wir nach Amerika«, fuhr Feely unbeirrt fort, »nach St. Louis, Missouri. Dann geht Carl mit mir zum Baseballspiel und zeigt mir, wie Stan Musial für die Cardinals einen Punkt nach dem anderen holt.«
»Ehrlich gesagt, hatte ich gehofft, dass Sergeant Graves das Rennen macht. Dabei weiß ich nicht mal, wie er mit Vornamen heißt.«
»Giles.« Feely betrachtete versonnen ihre Fingernägel. »Aber ich heirate doch keinen Polizisten! Ich will nicht mit jemandem zusammenleben, der jeden Abend mit Leichengift an den Schuhen nach Hause kommt.«
Feely kam offenbar recht rasch über den Tod des armen Mr. Collicutt hinweg. Vielleicht floss ja doch ein Tropfen De-Luce-Blut in ihren Adern.
»Also ich glaube ja, es ist Dieter«, sagte ich. »Schließlich hat er dir einen Freundschaftsring zu Weihnachten geschenkt.«
»Dieter? Der hat doch außer Liebe nichts zu bieten.«
Als sie nach dem Ring fasste, fiel mir zum ersten Mal auf, dass sie ihn am Mittelfinger der linken Hand trug. Und bei der Erwähnung seines Namens spielte ein Lächeln um ihre Lippen.
»Volltreffer!«, rief ich schrill. »Es ist Dieter!«
»Wir beide fangen ganz von vorne an.« Feelys Gesicht war so weich, wie ich es noch nie gesehen hatte. »Dieter macht eine
Weitere Kostenlose Bücher