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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Strauß unter die Nase. Die Riesenbrille bewegte sich von einer Seite zur anderen, und die Augen dahinter musterten die Blüten und Stängel so misstrauisch, als handelte es sich um buntschuppige Schlangen.
    »Hmpf«, machte sie schließlich. »Das sind Wildblumen. Wildblumen haben auf dem Altar nichts zu suchen. Das müsste ein Mädchen deiner Herkunft eigentlich wissen.«
    Demnach wusste sie, wer ich war.
    »Aber …«, sagte ich.
    »Kein Aber! Ich organisiere den Altardienst, und es gehört zu meinen Aufgaben zu entscheiden, was sich schickt und was nicht. Gib mir die Blumen, dann werfe ich sie nachher, wenn ich wieder gehe, zum Abfall.«
    Ich versteckte den Strauß hinter meinem Rücken. »Ich habe Sie singen hören. Es hat sich sehr schön angehört, mit dem Echo hier drin.«
    Eigentlich hatte es überhaupt nicht schön geklungen. »Schauerlich« hätte es besser getroffen. Aber wie lautete doch Regel 9B? Wenn es kritisch wird, wechsle das Thema.
    »Im Staub, o Herr, wir vor dir knien«, fuhr ich fort. »Eins meiner Lieblingslieder. Ich habe die Melodie sogar ohne den Text erkannt. Sie haben eine hinreißende Stimme, Miss Tanty. Wahrscheinlich bekommen Sie ständig Anfragen, weil jemand Schallplattenaufnahmen mit Ihnen machen will.«
    Man spürte förmlich, wie sie auftaute. Im Handumdrehen stieg die Temperatur in der Kirche um mindestens 10 Grad Celsius (oder 283 Grad Kelvin).
    Sie strich sich übers Haar.
    Dann holte sie ohne Vorwarnung tief Luft, stemmte die Hände in die Hüften und schmetterte:
    »Im Staub, o Herr, wir vor dir knien …«
    Der durchdringenden Wirkung ihrer Stimme konnte man sich in der Tat nicht entziehen – sie ging einem buchstäblich durch Mark und Bein. Sie kam tief von innen heraus, wahrscheinlich aus der Gegend um ihre Nieren.
    »Beim mächt’gen Stein vor deiner Gruft,
    Bei deines Grabes kühler Luft …«
    Ihr Gesang schlug wie feuchtwarme Wellen über mir zusammen. Sie sang alle fünf Strophen.
    Und mit wie viel Gefühl! Als würde sie einen auf eine Führung durch ihr eigenes Leben mitnehmen.
    Als sie geendet hatte, saß sie reglos da, wie von der eigenen Inbrunst überwältigt.
    »Das war super, Miss Tanty!«, sagte ich, und zwar mit ehrlicher Überzeugung. Ich glaube nicht, dass sie mich hörte. Sie starrte zu Herodias und Salome empor, den beiden in Glas geätzten, triumphalen Frauengestalten.
    »Miss Tanty?«
    »Huch!«, machte sie erschrocken. »Ich war mit den Gedanken ganz woanders.«
    »Das war großartig«, sagte ich, denn inzwischen hatte ich Zeit gehabt, nach einem kultivierteren Wort zu suchen.
    Ihre vortretenden Augen schwenkten herum und richteten sich wie zwei Scheinwerfer auf mich. »Wie auch immer. Jetzt aber heraus mit der Wahrheit! Was führst du im Schilde?«
    »Gar nichts. Ich wollte nur die Blumen hier …«, ich zog den Strauß wieder hinter dem Rücken hervor, »… auf den Altar stellen.«
    »Und weiter?«
    »Zum Gedenken an den armen Mr. Collicutt.«
    Ihr entfuhr ein leises Zischen.
    »Gib her!«, stieß sie heiser hervor und riss mir die Blumen blitzschnell aus der Hand.
    »Du vergeudest deine Krokusse bloß.«

9
    R umms!
    Ein Kanonenschuss hallte durch die Kirche.
    Miss Tanty und ich wechselten einen erstaunten Blick, dann drehten wir uns gleichzeitig um.
    Die schwere eichene Kirchentür mit ihren genagelten Eisenbeschlägen war zugeknallt. Ein Schemen huschte durch das dunkle Kirchenschiff.
    »Ist da wer?«, rief Miss Tanty energisch.
    Keine Antwort. Aber zwischen den hinteren Bankreihen hörte man es aufgeregt tuscheln.
    »Wer ist da? Komm raus, aber sofort!«
    » Die Schalen des Zorns. Das Blut des Toten!«
    Das unheimliche Geflüster wurde durch die hohen Fenster und Wände verstärkt.
    »Tritt ins Licht!«, befahl Miss Tanty, als eine Art Lumpenbündel den Mittelgang zwischen den Sitzreihen entlangwankte.
    »Denn sie haben das Blut der Heiligen und der Propheten vergossen, und Blut hast du ihnen zu trinken gegeben!«
    »Das ist doch Meg aus Gibbet Wood!«, sagte ich.
    Die verrückte Meg (in Miss Tantys Gegenwart scheute ich mich, ihren Spitznamen zu benutzen) lebte in einer Hütte im Wald auf dem Gibbet Hill, unweit der verfallenen Überreste des Galgens aus dem 18. Jahrhundert, nach dem Hügel und Wald benannt waren.
    »Du meinst die verrückte Meg!«, sagte Miss Tanty ungeniert. »Tritt ins Licht, Meg, damit wir dich sehen können.«
    »Du hast Meg das Blut der Heiligen zu trinken gegeben«, verkündete Meg mit irrem, speichelfeuchtem

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