Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Hannah gehalten«, rang ich mich zu einem ersten Schritt durch. »Ich habe im Orgelgehäuse nach Spuren gesucht. Für sie muss es ausgesehen haben, als käme ich aus der Wand.«
Während ich sprach, stöhnte Cynthia leise und warf den Kopf hin und her.
»Ein Glück, dass Sie dazugekommen sind«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich sonst getan hätte.«
»Ich bin ihr gefolgt«, sagte der Vikar leise. »Das mache ich öfter. Um mich zu vergewissern, dass ihr nichts zustößt.«
Cynthia regte sich wieder.
Er nahm ihr behutsam meinen ekligen Mantel ab, reichte ihn mir und deckte sie stattdessen mit der Wolldecke zu, die zusammengefaltet am Ende des Sofas gelegen hatte.
Ich verstand den Wink. »Dann geh ich jetzt mal.«
Kleine Lehmbatzen bröckelten von meinem Mantel, als ich ihn überzog.
Ich war schon an der Tür, als der Vikar sagte: »Flavia …« Er blickte mich mit tränenfeuchten Augen an. »Pass auf dich auf.«
Auch das gehört zu den Dingen, die ich an Denwyn Richardson so mag.
Buckshaw im Mondschein glich einem Traumbild. Als ich durch die Kastanienallee auf das Haus zu fuhr, lag eine Hälfte im blasssilbernen Mondlicht, die andere war dunkel. Ein lang gestreckter schwarzer Schatten kroch ostwärts über den Trafalgar-Rasen, als suchte er Zuflucht zwischen den fernen Bäumen.
Ich lehnte Gladys an die Ziegelmauer des Küchengartens und blickte nach oben zu den Fenstern im Obergeschoss. Nirgends brannte Licht, keine bleichen Gesichter schauten auf mich herab.
Wunderbar!, dachte ich. Ich brauchte Zeit, um eine chemische Reinigungslösung zusammenzumischen, am besten in einem Kohleneimer. Ein Gebräu aus Ammoniak und irgendeinem auf Chlor basierendem Oxidationsmittel. Ich konnte auch Benzin verwenden und mir ein paar Liter aus Harriets Phantom II abzapfen. Ich würde meinen verdreckten Mantel zusammenknüllen, eine halbe Stunde einweichen und zum Trocknen aus meinem Laborfenster in den Wind hängen. Hinterher wäre er so makellos sauber und würde so frisch riechen, als käme er geradewegs aus der Reinigung Armfields in Belgravia.
Als ich das Haus durch die Küchentür betrat, merkte ich auf einmal, dass ich einen Bärenhunger hatte. Ich hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen, und der Magen hing mir schon auf den Knien. Ich beschloss, mir in der Speisekammer ein paar Scheiben Brot abzuschneiden und mit nach oben zu nehmen, um sie über meinem Bunsenbrenner zu toasten.
Ich hatte die Küche noch nicht ganz durchquert, als eine ernste Stimme »Flavia!« sagte. Es klang wie das Läuten einer Sterbeglocke.
Es war Vater.
Auf den ersten Blick hätte ich ihn beinahe nicht erkannt. Er saß in Morgenmantel und Pantoffeln am Küchentisch. Ich hatte ihn noch nie in anderer Kleidung als seiner üblichen gesehen: Hemd, Krawatte, Weste, Jacke, lange Hose und spiegelblank geputzte Stiefel.
»Äh … ich war in der Kirche«, setzte ich an, in der Hoffnung, mir dadurch mildernde Umstände zu verschaffen, auch wenn ich nicht wusste, worin die eigentlich bestehen sollten.
»Ich habe mit dem Vikar gesprochen«, ergänzte ich lahm.
»Weiß ich«, erwiderte er.
Woher denn? Hatte mich der Vikar etwa verpfiffen?
»Der Justiziar des Bischofs hat angerufen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. Vater hatte uns die Benutzung des von ihm als »das Instrument« bezeichneten Apparats verboten, es sei denn, es wäre der äußerste Notfall eingetreten. In seinen Augen war das Telefon das, was der Galgen für einen zum Tode Verurteilten war.
»Er hat mir nahegelegt, dir zu untersagen, dich weiterhin rings um die Kirche herumzutreiben, solange dort Ausgrabungen stattfinden. Er meinte, dir könnte dort leicht etwas zustoßen.«
Und woher weiß der Justiziar des Bischofs, dass ich mich an der Kirche herumgetrieben habe?, hätte ich am liebsten gefragt.
Aber die Antwort lag auf der Hand. Sein Helfershelfer Marmaduke Parr hatte es ihm gesteckt.
»Außerdem weißt du doch«, fuhr Vater fort, »dass in der Krypta ein Mord geschehen ist.«
Ich sprach ein stummes Dankgebet. Wenigstens hatte nicht Inspektor Hewitt Vater angerufen und angeordnet, dass ich mich von der Kirche fernhalten sollte.
»Hat er den armen Mr. Collicutt erwähnt? Der Justiziar, meine ich?«
»Nein. Trotzdem möchte ich, dass du …«
»Mrs. Richardson ist vor dem Altar in Ohnmacht gefallen«, unterbrach ich ihn rasch. »Sie hat mich mit ihrer Tochter Hannah verwechselt.«
Vater sah mich an. Im Mondlicht zeichneten sich tiefe Falten in seinem Gesicht ab. Er
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