Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
leicht, von einem Moment zum anderen nicht mehr den Deppen zu spielen. Stell dir vor, jemand lenkt ein Automobil von der Straße runter in eine Wiese. Dann braucht er auch ein paar Meter, bis er zum Stehen kommt.«
»Vielleicht gehen wir lieber nach draußen«, entgegnete ich. »Bevor Miss Tanty noch die Treppe runterkommt und Sie dabei erwischt, wie Sie in ihren Sachen wühlen.«
»Wie bitte? Soll das etwa heißen, dass sie zu Hause ist?«
»Sie ist oben.« Ich deutete mit dem Kinn auf die Decke.
»Dann heißt es für uns: exeunt omnes «, flüsterte er, legte den langen Zeigefinger auf die Lippen und stakste übertrieben wie ein Storch zur Tür, als spielte er in einer Pantomime den schwarz maskierten Einbrecher.
»Das ist wirklich albern«, sagte ich. »Können Sie das nicht lassen?«
16
W ir standen am Ende der Cater Street am Flussufer, wo uns Miss Tanty auf keinen Fall hören konnte. Den Weg dorthin hatten wir schweigend zurückgelegt.
Auch jetzt war bis auf das Gurgeln des Flusses und das gedämpfte Geschnatter einiger Enten, die in der Strömung im Kreis herumpaddelten, nichts zu hören.
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich noch einmal. »Alte Gewohnheiten sind hartnäckig.«
»Gehört das zu Ihrer Deckidentität?«, fragte ich. »Sich als Einfaltspinsel aufzuführen?«
Den Begriff »Deckidentität« hatte ich aus einem der Radiokrimis mit Philip Odell. Der Fall der neugierigen Königin, wenn ich mich recht entsinne. Es bedeutete, sich als jemand anders auszugeben. Jemand, der man in Wirklichkeit nicht war.
Ich selbst hatte noch nicht oft Gelegenheit gehabt, diese Technik anzuwenden, weil in Bishop’s Lacey praktisch jeder Flavia de Luce so gut kannte wie seine eigene Mutter. Nur in sicherem Abstand von zu Hause konnte ich eine andere Identität annehmen.
»Vermutlich«, antwortete Adam und tat so, als drehte er seine Nase um. »So. Ich hab sie abgeschaltet. Jetzt bin ich wieder ich selbst.«
Sein Grinsen war verschwunden, und ich nahm ihn beim Wort.
»Miss Tanty findet, wir sollten uns zusammentun«, berichtete ich ihm. »So was wie einen Detektivclub gründen.«
»Informationen austauschen?«
»Darauf wollte sie wahrscheinlich hinaus, ja.«
»Ich wusste gar nicht, dass sie in dieser Hinsicht Ambitionen hegt«, sagte er. »Hätte mir vielleicht auffallen sollen. Das heißt vermutlich, dass ihr erschütternder Auftritt gestern in der Kirche nur gespielt war. Ebenso wie ihr gut inszenierter Zusammenbruch heute Morgen. Sehr schlau von dir, dass du darauf gekommen bist.«
»Ich bin nicht darauf gekommen. Sie hat es mir gestanden, kaum dass ich zur Tür herein war.«
»Wieso das? Das ist doch unlogisch. Warum gibt sie sich erst solche Mühe, nur um dann ohne Not alles auszuplaudern?«
Endlich sprach er mit mir wie mit einer Erwachsenen, und ich gebe zu, dass mir das sehr gefiel.
»Dafür kann es nur einen Grund geben«, erwiderte ich, um mich zu revanchieren. »Dass sie mich unbedingt als Verbündete gewinnen wollte.«
Adam schloss einen Moment die Augen, dann sagte er: »Da könntest du recht haben. Wärst du denn bereit mitzuspielen?«
Bis zu diesem Augenblick hätte meine übliche Antwort in einem unverbindlichen Nicken bestanden.
»Ja«, antwortete ich stattdessen.
»Gut. Ich auch.«
Er hielt mir die Hand hin, und ich schlug ein, um keine große Sache draus zu machen.
»Wo wir jetzt sozusagen Partner sind, solltest du noch etwas wissen. Aber bevor ich dich einweihe, musst du schwören, dass du niemandem etwas davon sagst.«
»Das gelobe ich feierlich.« Diese Formulierung hatte ich irgendwo aufgeschnappt und fand, dass sie zu diesem Anlass passte wie die Faust aufs Auge. Wir waren zwar mitnichten Partner, aber das würde ich ihm nicht auf die Nase binden.
»Außerdem musst du mir versprechen, dass du nicht mehr in der Kirche herumschnüffelst – zumindest nicht allein. Wenn du glaubst, aus irgendeinem Grund wieder hingehen zu müssen, sag mir vorher Bescheid. Dann komme ich mit.«
»Warum?«
Ich hatte nicht die Absicht, mir jemanden ans Bein zu binden, der alt genug war, mein Vater zu sein.
»Hast du schon mal von Luzifers Herz gehört?«
»Klar. Das kam in der Sonntagsschule vor. Es ist eine Legende.«
»Was weißt du noch darüber?«
»Nach der Kreuzigung unseres Herrn«, plapperte ich Miss Lavinia Puddocks für unsere kindlichen Ohren aufbereitete Version wie ein Papagei nach, »hat Josef von Arimathäa, so heißt es, den Heiligen Gral nach Britannien gebracht –
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