Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Notiz war erstaunlich kurz und knapp der Tod des Bischofs vermerkt: Tankred de Luci.«
Es dauerte einen Augenblick, bis mein Verstand aufnahm, was meine Ohren soeben gehört hatten.
»De Luci?«, wiederholte ich gedehnt. »Heißt das etwa, dass …?«
»Es ist durchaus wahrscheinlich. Der Name de Luce ist bekanntlich schon sehr alt und normannischen Ursprungs. Er taucht in vielen verschiedenen Schreibweisen auf. Zum Beispiel gab es den berühmten Sir Thomas Lucy aus Charlecote Park in Warwickshire, dem angeblich – was natürlich nicht stimmen muss – eines Tages ein junger Mann namens William Shakespeare vorgeführt wurde, dem man vorwarf, im Wild-bestand der Charlecotes gewildert zu haben.«
»Wahnsinn!«, sagte ich.
»Allerdings«, pflichtete mir Adam bei.
Er hob einen Kiesel auf und warf ihn neben den gründelnden Enten ins Wasser. Aufgeregtes Quaken und wildes Geflatter waren die Folge, dann widmeten sich die Enten wieder ihrem unermüdlichen Paddeln und Tauchen.
»Aber es kommt noch besser«, fuhr Adam fort. »Willst du’s hören?«
Der Blick, den ich ihm zuwarf, bedurfte keiner Worte.
»Ein paar Seiten danach vermerkt der Kellermeister Ralph, dass der Bischof zur ewigen Ruhe gebettet wurde, und zwar – das dürfte dich interessieren – ›zu Lacey‹.«
»Nicht in Bishop’s Lacey ?«
»Nein. Diesen Namen erhielt das Dorf erst nach seinem Tod. Er wurde, laut Ralph, der offenbar an der Beerdigung teilgenommen hat, ›mit gar grossem und feyerlichtem Prunke mit seyner Mitre, Mantel und Hirtenstabe‹ beigesetzt.«
»Mit dem Hirtenstab, in den Luzifers Herz eingelassen war?«
»Mit ebendem«, bestätigte Adam mit gesenkter Stimme, als fürchtete er, belauscht zu werden. »An den Rand der Seite schrieb Ralph: ›Oculi mei conspexi‹ , und dann als Einzelwort › adamas‹, was mehr oder weniger bedeutet: ›Ich habe den Dia-manten mit eigenen Augen gesehen.‹ Auffallend ist, dass er die Marginalie auf Latein verfasst hat.«
»Wieso?«
»Weil die Anmerkung damit für alle Klosterbewohner genauso verständlich war wie die anderen Marginalien, die er auf Englisch abfasste.«
»Vielleicht hat ja jemand anders die Notiz geschrieben.«
»Es handelte sich zweifelsfrei um dieselbe Handschrift. Das bedeutet, dass wir hier einen Augenzeugenbericht – zumindest so gut wie – vorliegen haben, der belegt, dass der heilige Tankred mitsamt seiner Mitra, seinem Mantel und seinem Bischofsstab beigesetzt wurde – und mit Luzifers Herz.«
»Und warum ist noch nie jemand darauf gekommen?«
»Geschichte ist wie eine Küchenspüle«, antwortete Adam. »Alles dreht und dreht sich, bis das meiste früher oder später im Abfluss verschwindet. Dinge geraten in Vergessenheit. Dinge werden verlegt. Dinge werden vertuscht. Manchmal nur aus purer Nachlässigkeit. In den letzten anderthalb Jahrhunderten gab es immer wieder Laienforscher, die sich aus reinem Sportsgeist durch das ganze Geraffel der Geschichte unserer Insel gewühlt haben, überwiegend zu ihrer eigenen Erbauung oder schlicht zum Vergnügen. Aber nach den beiden jüngsten Kriegen kam diese Art Forschung fast völlig zum Erliegen. Heutzutage ist die Vergangenheit ein Luxus, den sich niemand leisten kann. Niemand hat mehr die Zeit dafür.«
»Sie schon, oder?«
»Ich versuch ’ s. Wenn auch nicht immer mit Erfolg.«
»War das jetzt alles?«, fragte ich.
»Alles?«
»Alles, was Sie mir sagen wollten? Was ich auf keinen Fall weitererzählen darf, wie ich es gelobt habe?«
Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Leider war das erst der Anfang«, erwiderte er.
Er hob wieder einen Kiesel auf, als wollte er die Enten noch einmal aufscheuchen, überlegte es sich aber anders und ließ den Stein fallen.
»Die Sache ist die, dass in den letzten … sagen wir zehn Jahren irgendwer auf das Gekritzel des Kellermeisters Ralph gestoßen ist und diesen Fund immerhin so wichtig nahm, dass er ihn unter einem Stapel alter Handschriften versteckt hat. Und wie so oft ist es sehr wahrscheinlich, dass es dabei letztendlich um einen Diamanten geht.«
»Um den Diamanten im Bischofsstab des heiligen Tankred!« Ich stieß einen Pfiff aus.
»Du hast’s erfasst.«
»In seiner Gruft!« Ich hüpfte aufgeregt von einem Fuß auf den anderen.
»Ich glaube schon«, sagte Adam. »Kennst du dich mit der historischen Bedeutung von Diamanten aus?«
»Nicht besonders. Ich weiß nur, dass man früher glaubte, sie seien sowohl ein Gift als auch das Gegengift dazu.«
»Ganz
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