Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
solide gebaut wie eine alte Kathedrale, mit hohen Wänden und dicken Zwischendecken, trotzdem will man ja nicht über die Teppichkante stolpern und sich dadurch verraten.
Eines der vielen Wunder von Buckshaw, zumindest in seinen viktorianischen Tagen, war der Umbau der Schornsteine von der ursprünglichen Rauchfangbauweise zu einem regulierbaren Abzugssystem gewesen. Die geniale Zusammenlegung der Züge im Erdgeschoss und im ersten Stock mittels einfacher Klappen – schlichter schmiedeeiserner Platten – schützte die Hausbewohner vor Kohlenmonoxidvergiftungen, falls einer der Schornsteine mal von einem Dohlennest verstopft war.
Ich hatte die Klappen eher zufällig entdeckt, als ich mein Labor nach Lüftungsmöglichkeiten abgesucht hatte, weil ich giftige Gase wie von Blausäure und dergleichen nicht einfach durchs offene Fenster abziehen lassen wollte und dabei womöglich mein eigen Fleisch und Blut vergiftet hätte.
Die mit einer dicken Rußschicht verkrusteten Eisenplatten auf der Rückseite der Feuerstellen ließen sich mit ein wenig Hartnäckigkeit leicht abschrauben und abnehmen.
Ich hätte etwas mitbringen sollen, um den Ruß aufzufangen – eine alte Decke zum Beispiel –, aber dafür war es jetzt zu spät. Ich musste unbedingt hören, was Feely mit dem einzigen Besucher, den Buckshaw seit Monaten begrüßen durfte, zu besprechen hatte. Bestimmt ging es um ihre Hochzeit, deren Einzelheiten mir aus unerfindlichen Gründen vorenthalten wurden. Da wollte ich natürlich nicht mehr verpassen als unbedingt nötig.
Ich hatte mal aufgeschnappt, dass Schornsteinfeger die Möbel früher mit Laken abgedeckt hatten, was ich ausgesprochen einleuchtend fand. Kurzerhand schlug ich Feelys Daunendecke zurück und zog das Bettlaken ab. Ich würde es später durch ein anderes ersetzen.
Ich legte das Laken auf den kalten Kaminboden, duckte mich, als ginge ich durch eine niedrige Tür, und stellte mich in der Kaminöffnung wieder aufrecht hin.
Da war ja die Klappe – direkt über mir. Ich stellte mich auf den Kaminrost und kam auf diese Weise bequem an die Schrauben heran. Mit den Fingernägeln ertastete ich die Schlitze.
Wenn man gusseiserne Teile aus einem Kamin ausbaut, muss man sehr leise zu Werke gehen, weil Backstein die geringsten Geräusche hervorragend überträgt.
Die Platte löste sich bereitwillig, und ich legte sie vorsichtig auf das Laken.
Dann nahm ich meine beiden Trichter, einen großen aus Blech und einen kleinen aus Glas, und steckte sie in die beiden Enden des Gummischlauchs.
Den größeren Trichter schob ich in die neu geschaffene Öffnung und ließ den Gummischlauch dann Stück für Stück wie ein Seil durch die Finger gleiten, langsam … behutsam … noch ein Stück … noch eins …
Nach einer halben Ewigkeit hing der Schlauch in voller Länge im Kaminschacht, und der Trichter baumelte, wenn meine Berechnungen stimmten, auf Höhe des Salonkamins.
Ich setzte den kleinen Trichter ans Ohr – gerade noch rechtzeitig, um Feely sagen zu hören: »Ich dachte, vielleicht etwas von Elgar. Der Abschied der Engel. Ein sehr britisches Stück.«
»Aber auch ein bisschen sehr katholisch, oder?«, entgegnete eine andere Stimme. »Es beruht doch auf einem Gedicht von Henry Newman. Der alte Überläufer wurde gleich Kardinal, nachdem er von den Anglikanern zu den Katholiken konvertiert war. Da können wir auch gleich das Ave Maria nehmen. Ich möchte die Mädchen nicht auf dumme Gedanken bringen. Sie kommen natürlich alle, denn sie haben Crispin sehr verehrt.«
Demzufolge belauschte ich ein Gespräch zwischen Feely und Alberta Moon, der Musiklehrerin von St. Agatha – jene Agatha Moon, von der der Vikar behauptet hatte, sie werde über Mr. Collicutts Ableben am Boden zerstört sein. Die beiden unterhielten sich nicht über Feelys Hochzeit, sondern über Mr. Collicutts Beerdigung.
»Wie wär’s mit dem Nunc Dimittis? «, schlug Feely vor. » › Nun entlässest du, Herr, deinen Diener in Frieden.‹ Das hat er oft bei der Abendandacht gespielt. Wir könnten doch Miss Tanty fragen, ob sie das Stück als Solo singt.«
Eine eisige Stille trat ein, die auf dem langen Weg durch den Gummischlauch noch eisiger wurde.
»Lieber nicht, Ophelia. Miss Tanty ist, ich sage es frei heraus, alles andere als gut auf ihn zu sprechen gewesen.«
Dieser Aussage folgte ein sprödes Lachen.
Feely erwiderte etwas, das ich nicht verstand, aber es klang aufgebracht. Ich zog den Glastrichter rasch heraus und steckte mir
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