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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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Luft.
    Hatte Adam einfach nur gedankenlos drauflosgepfiffen oder steckte in der Wahl des Liedes eine Botschaft? Wenn ja, an wen richtete sie sich?
    Erst jetzt fiel mir auf, dass sich noch mehr Zuschauer zu uns gesellt hatten. Zum Beispiel ein dicker Mann mit schwarzem Anzug und Priesterkragen, den eine Aura geschäftiger Frömmigkeit umgab.
    Das konnte nur der Bischof sein.
    »Exzellenz«, begrüßte ihn der Vikar. »Und Herr Justiziar, Mr. Ridley-Smith.«
    Er gab beiden Männern die Hand, aber ohne echte Begeisterung.
    Das also war der bischöfliche Justiziar – beziehungsweise Richter – Ridley-Smith. Jocelyns Vater.
    Das Erste, was mir an ihm auffiel, war, dass ich ihn schon mal gesehen hatte. Er war der Mann, der Miss Tanty auf der Fotografie den Pokal überreichte.
    Ich musterte ihn ausführlich.
    Ein strenger Mann, dachte ich, mit stechenden, aber feuchten braunen Augen, deren Blick professionell zwischen den Anwesenden hin und her glitt wie der Wagen einer Schreibmaschine. Die runden Augen starrten aus tiefen Höhlen, und ich bedauerte sogleich alle Angeklagten, die im Gerichtssaal vor ihm gestanden hatten.
    Seine Stirn war dauergerunzelt, wie bei jemandem, der etwas Übles riecht, ein Eindruck, der noch von dem Umstand unterstrichen wurde, dass er weder Augenbrauen noch Wimpern besaß. Seine fleckige Nase war eingedrückt, als hätte er in seiner Jugend geboxt, wenn auch ohne großes Talent.
    Ein Säufer, schoss es mir durch den Kopf.
    Obwohl er nicht von großer Statur war, schien allein seine Gegenwart die ganze verbliebene Luft in der Krypta aufzubrauchen. Auf einmal wurde es stickig.
    Er wippte auf seinen ungewöhnlich kleinen Füßen und schaute ungeduldig um sich.
    »Bringen wir’s hinter uns«, sagte er mit überraschend heiserer Stimme, zog eine Taschenuhr mit Glasdeckel aus der Westentasche und warf mit vorgeschobener Unterlippe einen Blick darauf. »Wo sind die Überreste?«
    Als er die Uhr umständlich wieder wegsteckte, fiel mir auf, dass seine Hand, wie die seiner Frau auf der Fotografie in Jocelyns Zimmer, eigenartig kraftlos herunterhing.
    Was hatte Dogger doch gleich gesagt? Ein klassischer Fall von Bleivergiftung? War der Richter seinerzeit in Indien ebenfalls den Soldatenfiguren seiner Frau ausgesetzt gewesen?
    »Wir haben sie noch nicht geborgen«, erwiderte der Vikar. »Wir wollten warten, bis Sie …«
    »Schön, schön, aber damit lassen Sie die Kirche, die Justiz und die Polizei unnötig warten. Ich schlage vor, dass wir fortfahren.«
    Mit der Kirche meinte er den Bischof, mit der Justiz sich selbst. Wer aber repräsentierte hier die Polizei?
    Erst jetzt erblickte ich Inspektor Hewitt. Er stand hinter dem Bischof im Halbdunkeln. Ich lächelte ihn an, aber er schien mich nicht zu sehen. Sein Blick wanderte ebenso professionell durch die Krypta wie der des Justiziars, womöglich sogar noch professioneller.
    »Weitermachen!«, kommandierte der Bischof und leckte sich die Lippen.
    Im selben Augenblick erschien Adams Kopf am oberen Ende der Leiter, das Kinn auf gleicher Höhe mit der steinernen Einfassung des Heiligengrabes. Ich musste an das Haupt Johannes des Täufers denken.
    »Alles klar«, sagte er und machte damit das Bild sogleich wieder zunichte. »Da unten ist alles in Ordnung.«
    »Wer ist dieser … Mann?«, wollte der Richter wissen. »Wie kommt er dazu, dort unten herumzuwühlen? Wer hat ihm das erlaubt?«
    »Wir beide«, antwortete der Bischof. »Sie erinnern sich vielleicht …«
    Aber Mr. Ridley-Smith hörte gar nicht hin. Sein Gesicht war finster wie eine Gewitterwolke.
    »Kommen Sie, Martin«, knurrte er und schlurfte schwerfällig hinaus.
    Martin, der vierte Arbeiter – Martin, der Schweigsame, Martin, den ich noch kein einziges Wort hatte sagen hören –, erwiderte mit tonloser, dumpfer Stimme: »Jetzt sind wir dran.«
    Vier Worte. Mehr bedurfte es nicht, um meine Hirnzellen auf Hochtouren rotieren zu lassen wie ein Feuerrad an Silves-ter. Die Funkenschauer sprühten in alle Richtungen.
    Diese Stimme! Ich hatte sie schon mal gehört. Aber wo?
    Mein Gehör hatte mich noch nie im Stich gelassen, und auch jetzt verließ ich mich voll und ganz darauf.
    Ich spielte Martins Worte im Geiste noch einmal ab: »Jetzt sind wir dran.«
    Ganz weit hinten in meinem Hirn machte es Klick !, dann hörte ich dieselbe Stimme sagen: »Peter Iljitsch Tschaikowsky … Franz Schubert … Schwanensee … Der Tod und das Mädchen.« Es war dieselbe Stimme, die aus dem verborgenen

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