Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)
Lautsprecher in Jocelyns Zimmer gedrungen war.
Benson!
Der schweigsame Arbeiter war Jocelyns Gefängniswärter! Und er war hergeschickt worden, um von Anfang an bei der Öffnung von St. Tankreds Gruft zu spionieren!
Schon als ich ihn auf der Treppe von Bogmore Hall im Profil gesehen hatte, war er mir bekannt vorgekommen, aber ich hatte ihn nicht einordnen können. Dabei kannte ich ihn aus der Krypta, wo er stets wortkarg im Hintergrund geblieben war.
Jetzt verließ auch er die Krypta und folgte seinem Herrn und Meister.
Wie zur Bestätigung rief Tommy ihm nach: »Bis dann, Benson.«
»Nun denn«, ergriff der Bischof wieder das Wort, »ich wäre dafür, dass wir weitermachen. Es ist schon spät. Morgen ist Ostern. Uns bleiben nur noch wenige Stunden, und wir haben viel zu tun. Verständigen Sie uns bitte, sobald die Reliquien geborgen sind, Mr. Haskins. Wir bereiten schon einmal die Urne vor.«
Damit ging auch er hinaus.
Adam kletterte aus der Gruft, setzte sich auf den Rand und ließ die Füße über dem Schacht baumeln.
Von tief unten ertönte ein Poltern, und die Leiter schlug gegen den Stein.
»Hallihallo!«, sagte Adam und spähte in die Grube. »Was reget sich dort im Grabe?«
Die Leiter erbebte abermals, dann erschien ein rotes, lehmverschmiertes und erstaunt dreinblickendes Gesicht.
Es gehörte Sergeant Graves.
»Sie hatten recht, Chef«, sagte er zu Inspektor Hewitt und wies mit dem Strahl seiner Taschenlampe nach unten. »Er führt von hier direkt bis rüber zum Friedhof.«
Bravo!, wäre es mir beinahe herausgerutscht. Demnach führte die andere Abzweigung des Tunnels also zur Gruft des heiligen Tankred.
Der Sergeant nahm neben Adam auf dem Gruftrand Platz und wischte sich die Erde von der Uniform.
Der Inspektor nickte. Sein Gesicht war eine ausdruckslose Maske. Sie verriet nicht, was ihm ganz bestimmt durch den Kopf ging: nämlich, dass sein Untergebener dadurch, dass er sich wie ein Pfeifenreiniger durch den Gang gezwängt hatte, höchstwahrscheinlich die Spuren der Grabplünderer verwischt hatte.
Andererseits hatten dazu auch meine eigenen Nachforschungen beigetragen, darum hielt ich meinerseits lieber den Mund. Vielleicht wusste der Inspektor ja überhaupt nichts von Luzifers Herz. Der Bischof und sein Justiziar womöglich auch nicht.
Die alte Redensart ging mir durch den Sinn: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
Ich jedenfalls würde meine Zunge im Zaum und die Lippen fest versiegelt halten. Niemand sollte behaupten können, Flavia de Luce sei ein Plappermaul.
Doch was war das? Inspektor Hewitts Blick suchte den meinen. Er machte eine knappe Kopfbewegung und schaute nach oben. Die Botschaft war so unmissverständlich wie eine Zeitungsschlagzeile:
RAUS HIER – SOFORT!
Wir spazierten einträchtig durch das hohe Gras im hinteren Teil des Friedhofs, der Inspektor und ich.
»Deine Fußspuren sind überall in diesem Gang.« Er deutete über die Schulter auf Cassandra Cottlestones viel besuchtes Grabmal.
Ich tat erstaunt und bestürzt. Ich hätte erwidern können, dass es viele Leute gab, die Turnschuhe trugen.
»Gib dir keine Mühe«, sagte er. »Wir haben deine Fußabdrücke in unseren Akten.« Nach kurzer Pause setzte er hinzu: »Deine Fingerabdrücke übrigens auch.«
»Na ja … das ist eine lange Geschichte. Da war eine Fledermaus in einer Orgelpfeife, und ich wollte herausfinden, wie sie in die Kirche gelangt ist. Ich dachte, sie hat vielleicht Tollwut, und ich wollte nicht, dass Feely etwas zustößt. Sie will nämlich heiraten, und da hatte ich Angst, dass …«
Ich betätigte den Schalter mit der Aufschrift »Herzzerreißendes Schluchzen«, aber es kam nichts.
Verdammt! Es hatte mir sonst doch nie Probleme bereitet, Wasser auf Knopfdruck zu produzieren. Was in aller Welt war bloß mit mir los? Wurde ich etwa abgebrüht? War das immer so, wenn man zwölf wurde?
»Sehr lobenswert«, sagte der Inspektor. »Und was hast du dort unten im Kaninchenloch entdeckt?«
Wenn die Tränen versagen, beschloss ich auf der Stelle, dann verwirre dein Gegenüber mit einer Flut von Einzelheiten.
Ich ratterte los: »Der unterirdische Gang führt vom Cottle-stone-Grab bis zum Fundort von Mr. Collicutts Leiche. Es gibt noch eine Abzweigung, aber der bin ich nicht gefolgt. In der Wand am Ende des Ganges ist ein Stein, der sich an Griffen herausziehen lässt. Mr. Collicutt wurde im Orgelgehäuse umgebracht und anschließend entweder durch die Krypta oder über den Friedhof dort
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