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Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition)

Titel: Flavia de Luce 5 - Schlussakkord für einen Mord: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Bradley
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auf einem Podest gelegen hatte.
    »Eigentlich ist das der Deckel des Sarkophags«, erklärte mir der Vikar mit gedämpfter Stimme, als wäre er ein BBC -Kommentator, der im Kirchenfunk von einer feierlichen Zeremonie berichtete.
    Eine Winde stand bereit, um den Stein zu heben, die Seile dehnten sich bereits unter der Last.
    »Du kommst gerade rechtzeitig. Meine Güte, wenn man bedenkt, dass wir in wenigen Augenblicken in das Antlitz von … Und weil ich deine Neigungen ja kenne, wusste ich, dass du bestimmt keine Sekunde verpassen möchtest, wo doch womöglich …«
    »Hau-ruck!« , kommandierte George Battle.
    Mit dumpfem Ächzen hob sich die Steinplatte einen Fingerbreit.
    »Angeblich haben die Arbeiter, als sie gewisse königliche Gräber öffneten, die Insassen vom Zahn der Zeit unversehrt vorgefunden, in voller Rüstung, mit goldenen Kronen auf den Häuptern, und mit so lebensfrischen Gesichtern, als hielten sie nur ein Nickerchen. Und dann, urplötzlich, innerhalb von ein paar Sekunden, nachdem sie der Luft ausgesetzt waren, zerfielen sie zu Staub. Die hohen Herrschaften, meine ich natürlich, nicht die Arbeiter.«
    »Hau-ruck!«
    Der Stein hob sich noch ein Stückchen.
    »Vielleicht interessiert es dich ja, George«, sagte der Vikar, »dass der Steinmetz, der die Gräber der Königsmörder Cromwell und Ireton öffnete, siebzehn Shilling für seine Arbeit erhielt.«
    George Battle äußerte sich nicht dazu, sondern zog abermals kräftig am Seil.
    »Hau-ruck!«
    An den Rändern der Steinplatte wurde ein dunkler Spalt sichtbar.
    »Du liebe Güte!«, sagte der Vikar. »Ich bin aufgeregt wie ein Schuljunge. Warten Sie, ich helfe Ihnen.«
    »Passen Sie auf Ihre Finger auf, Herr Vikar!«, rief George Battle. »Wenn das Biest runterkracht, sind sie ab!«
    Der Vikar wich erschrocken zurück.
    Der Stein war jetzt aus seiner Auskehlung gehoben und schwang träge hin und her wie ein zwei Tonnen schweres Marmorpendel.
    Ich spürte den Luftzug sofort und roch den kalten Mief aus dem Grab.
    »Jetzt rüberschwenken, Norman! Nimm die Stange, Tommy! Langsam kommen lassen!«
    Der Stein schwenkte zur Seite und gab eine schwarze, gähnende Grube frei. Ich beugte mich vor, erspähte aber nur den oberen Rand der gemauerten Ziegelwände. Der Vikar legte mir die Hand auf die Schulter und lächelte mich an. Stellte er sich vor, ich wäre seine Tochter Hannah, aus dem Grab zurückgekehrt, um ihm in diesem zugleich schönen und schrecklichen Augenblick zur Seite zu stehen?
    Er drückte meine Schulter, und ich legte meine Hand auf seine. Wir sprachen nicht.
    »Ablassen … sachte … sachte … so ist’s recht!«
    Mit scheußlichem Knirschen kam der Stein neben der Gruft auf dem Boden zu liegen.
    »Gut gemacht«, sagte Norman, ohne damit jemand Bestimmtes zu meinen.
    »Gib mal die Taschenlampe«, sagte Tommy, und George Battle reichte sie ihm.
    Tommy stellte sich breitbeinig über die Öffnung und richtete den Strahl in den Abgrund.
    »Teufel noch mal …!«, entfuhr es ihm.
    Der Vikar drängte sich nach vorne, beugte sich vor und starrte zwischen Tommys Beinen hindurch in die Tiefe.
    Dann winkte er mich mit dem Zeigefinger heran.
    Obwohl erst ein paar Tage vergangen waren, kam es mir vor, als hätte ich ewig auf diesen Augenblick gewartet. Doch jetzt, da er gekommen war, zögerte ich.
    Was würde ich zu sehen bekommen? Einen heiligen Tankred mit unversehrtem Gesicht? Einen Diamanten, groß wie ein Truthahnei – Luzifers Herz?
    Ich beugte mich zentimeterweise vor.
    Etwa drei Meter unter mir beschien die Taschenlampe einen dick eingestaubten, modrig müffelnden Haufen Stoff und ein paar grünliche Knochen.
    Sie lagen in einem Bleisarg, dessen abgenommener Deckel in einer Ecke aufrecht an der Wand lehnte.
    Ein morscher, geschnitzter Stock aus schwarzem Holz, der in etwa die Form eines Hirtenstabes besaß, lag auf den Überresten des Heiligen wie ein verwitterter Ast, den man achtlos auf eine erkaltete Feuerstelle geworfen hatte.
    Der Bischofsstab des heiligen Tankred, aus dem Weißdornbusch von Glastonbury geschnitten und, wie manche behaupten, aus dem Heiligen Gral selbst gefertigt.
    An seinem dickeren Ende verriet ein tiefes ovales Loch mit verbogenen Metallklammern am Rand, dass dort etwas herausgerissen worden war. Luzifers Herz war nicht mehr da.
    Jemand war schneller gewesen.

23
    D as darf doch nicht wahr sein!«, sagte der Vikar. »Da ist uns jemand zuvorgekommen.«
    Wir beide standen Schulter an Schulter am Rand der Grube und

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