Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - Bradley, A: Flavia de Luce - Mord ist kein Kinderspiel - The Weed that strings the Hangman's Bag
schwarz umrandeten Trauerkarten. Obwohl ich keinen der Verstorbenen namentlich kannte ( Dennison Chatfield, Arthur Bronson-Willowes, Margaret Beatrice Peddle ), betrachtete ich mir die Karten sehr gründlich und schüttelte bei jedem Namen betrübt den Kopf.
Indem ich die Augen von links nach rechts bewegte, als wollte ich die klein gedruckten Aufschriften der Karten lesen, mich dabei aber auf das nur schwach erleuchtete Innere des Ladens konzentrierte, sah ich dort jemanden stehen und beim Reden mit den Händen fuchteln. Sein gelbes Seidenhemd und die malvenfarbene Krawatte hatten zuvor meine Aufmerksamkeit erregt. Es war Mutt Wilmott!
Ehe mein Verstand die Bremsen anziehen konnte, platzte ich auch schon in den Laden.
»Guten Tag, Mr Sowbell«, sagte ich. »Hoffentlich störe ich
nicht. Ich wollte Ihnen nur eben sagen, dass unser kleines chemisches Experiment doch noch erstaunlich gut geklappt hat.«
Das war zugegebenermaßen ein bisschen beschönigt. In Wahrheit hatte ich den Bestattungsunternehmer neulich nach der Sonntagsmesse auf dem Friedhof von St. Tankred in ein Gespräch verwickelt, um ihn, sozusagen als Experten in Sachen Konservierung, nach seiner professionellen Meinung zu fragen. Ich wollte wissen, ob man sich eine preiswerte Flüssigkeit zum Einbalsamieren selbst herstellen könne, indem man die Säure von entsprechend vielen Roten Ameisen ( Formica rufa ) sammelte, einweichte, aufkochte und destillierte.
Er hatte sein langes Kinn befingert, sich am Kopf gekratzt und eine ganze Weile hinauf ins Geäst der Eiben geschaut, bevor er antwortete, dass er darüber noch nie richtig nachgedacht habe.
»Da müsste ich erst einmal in der Fachliteratur nachschlagen, Miss Flavia«, hatte er erwidert.
Aber ich wusste, dass es nie so weit kommen würde, und ich hatte recht behalten. Die alten Meister ihres Fachs können sehr verschwiegen sein, wenn es um einschlägige Geschäftsgeheimnisse geht.
Nun stand Mr Sowbell im Halbdunkel vor der getäfelten Tür, die zu einem zweifelsohne grausigen Hinterzimmer führte, zu einem Zimmer, das ich für mein Leben gern betreten hätte.
»Flavia«, sagte er und nickte, ein bisschen argwöhnisch, wie mir schien.
»Tut mir leid, aber du kommst gerade etwas ungünstig. Wir sind mitten in einer …«
»Sieh mal einer an«, unterbrach ihn Mutt Wilmott, »wenn das nicht Ruperts allgegenwärtiger kleiner Schützling ist, die kleine Miss …«
»De Luce«, sagte ich.
»Ganz recht, selbstverständlich - de Luce.« Er lächelte herablassend,
als hätte er es sowieso die ganze Zeit über gewusst und mich bloß necken wollen.
Ich muss zugeben, dass der Mann, genau wie Rupert, eine hinreißende Sprechstimme besaß: ein so wohltönender, honigsüßer Redestrom drang aus seinem Mund, als säße ihm statt eines Kehlkopfes eine hölzerne Orgelpfeife im Hals. Wahrscheinlich züchtete die BBC solche Leute in irgendeiner geheimen Brutanstalt.
»Da du ja sozusagen einer von Ruperts jungen Schützlingen bist, dürfte es dich vielleicht interessieren«, fuhr Mutt fort, »dass die gute alte Tante - wie unsereins die Bristish Broadcasting Corporation gern nennt - für Rupert eine feudale Beerdigung angesetzt hat, wie sie nur die allergrößten Stars bekommen. Nicht direkt Westminster Abbey, verstehst du, aber dicht dran. Sobald Mr Sowbell die … äh … sterblichen Überreste nach London überstellt hat, steht der öffentlichen Trauerfeier nichts mehr im Wege: Aufbahrung, Blumenspenden, die zehnfache Mutter aus Weston-super-Mare, die mit rotem Gesicht neben ihren bitterlich schluchzenden Kindern am offenen Sarg Abschied nimmt, und das alles vor laufenden Fernsehkameras. Kein Geringerer als der Generaldirektor persönlich ist zu dem Schluss gekommen, dass es der ganzen Angelegenheit eine zusätzliche ergreifende Note verleihen würde, wenn Snoddy das Eichhörnchen am Fuße des Sarges Wache hielte, und zwar auf einem leeren Handschuh stehend.«
»Ist er denn noch hier?« Ich deutete auf das Hinterzimmer. »Ist Rupert noch hier?«
»Er ist in den besten Händen«, bestätigte Mutt Wilmott, und Mr Sowbell bedankte sich mit einem feisten Grinsen und einer angedeuteten Verbeugung.
Noch nie hatte ich mir etwas so inbrünstig gewünscht, wie darum zu bitten, einen Blick auf den Leichnam werfen zu dürfen, aber ausgerechnet jetzt versagte mir mein sonst so wendiger Verstand den Dienst. Mir wollte partout keine glaubwürdige
Begründung dafür einfallen, weshalb ich einen letzten Blick auf
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