Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
Flocken einem d ichten Schneegestöber gewichen und Claire war gezwungen gewesen, den Fuß vom Gas pedal zu nehmen. Obwohl sie es aus ihrer Jugend gewohnt war , auf verschneiten Straßen zu fahren, war sie dennoch froh, dass sie sich für einen Wagen mit Allradantrieb entschieden hatten.
„Sind Sie schon müde? Soll ich Sie ablösen.“
„Nein danke, es ist alles in Ordnung . Ich sage bescheid, wenn ich müde werde. “
„Gut“, sagte George, „das ist sehr vernünftig von Ihnen. Oder zumindest ist es besser, als mit gebrochenen Beinen in einem Straßengraben aufzuwachen.“
Claire war der neckische Unterton in Georges Stimme nicht entgangen. Doch sie stieg nicht darauf ein. Ihr war in diesem Augenblick nicht danach, Späße zu machen und fröhlich zu sein .
Einerseits lag das natürlich an all den Ereignissen der letzten beiden Tage: Amanda, die Schießerei, die Flucht – all diese Geschehnisse hatten sich über ihr Gemüt gelegt, wie der schwere Schatten einer Gewitterwolke.
Andererseits musste sie sich aber auch eingestehen, dass der Mann , der neben ihr im Wagen saß, nach wie vor ein Fremder war. Zuge geben , dachte sie, er hatte ihr zweimal das Leben gerettet. Außerdem hatte sie es nur ihm zu verdanken, dass ihr die Flucht aus New York gelungen war. Dennoch reichten diese Umstände nicht aus, um sämtliche Zweifel aus ihrem Verstand zu fegen. Und je länger sie sich mit ihnen plagte, umso unsicherer wurde sie, was George anbelangte.
Was hatte er vor? Wer war er überhaupt? Wie war er in diese Geschichte verstrickt?
All diese Fragen tobten durch ihren Kopf und ließen ihr keine Ruhe. Doch wenn Claire in den vergangenen Jahren etwas gelernt hatte, dann war es die Kunst , im richtigen Augenblick die richtigen Fragen zu stellen. Fragen , mit deren Hilfe sie manchmal auch hinter die Fassade der Menschen blicken konnte.
Und genau das hatte sie in diesem Moment auch vor. Sie würde die verbleibende Fahrtzeit nützen, um sich über George und seine Motive Gewissheit zu verschaffen, dachte sie.
Falls er es nicht schaffte, ihre Zweifel zu beseitigen, wü rde sie ihn in Rockwell einfach loswerden . Sie würde ihn mit einem Vorwand aus dem Wagen locken und dann ordentlich das Gaspedal durchtreten. Danach wäre sie zwar auf sich allein gestellt, aber dies schien ihr immer noch wesentlich sicherer zu sein. Jedenfalls wäre es um ein Vielfaches sicherer, dachte sie, als sich mit einem völlig Fremden in der Jagdhütte zu verbarrikadieren.
„Raus mit der Sprache“, sagte George, als hätte er in diesem A ugenblick ihre Gedanken gelesen, „Ihnen liegt doch etwas auf dem Herzen.“
Claire wandte sich zu ihm um. Doch außer der schwarzen Silhouette seines Körpers konnte sie nichts erkennen. Gerne hätte sie ihm bei der bevorstehenden Unterhaltung direkt in die Augen geblickt , um sich zu vergewissern, dass er auch die Wahrheit sagte. Doch wegen der Dunkelheit war das schlichtweg unmöglich. Das schwache Leuchten der Armaturen ließ Georges Gesichtszüge bestenfalls erahnen. Seine Augen aber konnte sie nicht sehen.
Trotzdem hatte Claire ihren Entschluss bereits gefasst und sie dachte nicht daran, davon abzugehen : Sie musste herausfinden, was es mit George auf sich hatte, noch bevor sie in Rockwell ankamen:
„Ich habe mich an einige der Dinge erinnert, die Sie heute morgen gesagt haben“, sagte Claire. Sie achtete dabei darauf, dass ihre Stimme so locker und be i läufig klang, wie nur möglich.
„Welche Dinge?“, fragte George.
„Sie haben zum Beispi el gesagt, sie seien früher auch ein Mensch gewesen und hätten sich erst später in einen Vampir verwandelt.“
„Ja, das habe ich gesagt. Was ist damit? “
„Nun ja“, sagte Claire, „ ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich meine...“
„Sie interessieren sich dafür, wie das alles passiert ist, n ehme ich an“, sagte George. W ieder kam es Claire so vor, als hätte er ein verdammt gutes Gespür dafür, wo den Menschen in seinem Umfeld der Schuh drückte.
Entweder das , oder er kann wirklich Gedanken lesen...
„Ja“, sagte Claire, „immerhin hört sich das nach einer Wahnsinnsgeschichte an, finden Sie nicht auch?“
„Allerdings“, sagte George, „ Wahnsinn spielt in dieser Geschichte vielleicht sogar die Hauptrolle. Nun gut, wo soll ich anfangen?“
„Wie wäre es mit dem Anfang?“, fragte Claire.
„Wenn Sie so wollen - aber ich muss Sie warnen: Es ist eine verdammt lange Geschichte.“
„Na dann, sollten Sie keine
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