Fleisch und Blut
sehr blaue Jeans mit einem schwarzen Ledergürtel und schwarze Schnürstiefel. Eine schwere silberne Kette hing aus einer der vorderen Hosentaschen.
»Oh. Ich dachte, Sie wären ...« Atemlose, ziemlich hohe Stimme.
»Jemand anders«, sagte ich. »Tut mir Leid, wenn ich störe. Mein Name ist Alex Delaware.«
Dem Ausdruck seiner großen braunen Augen zufolge, in denen noch ein wenig Überraschung stand, sagte ihm mein Name nichts. Das helle Haar war graubraun mit blonden Spitzen und äußerst kurz geschnitten. Kein Gramm Fett am Körper, und der Rest bestand aus Sehnen, nicht Muskeln. Ein winziger goldener Ring im rechten Ohrläppchen. Eine Tätowierung - »Keine Panik« in aufwendigen blauschwarzen Lettern - prangte oben auf seiner linken Schulter. Ein Dornenband in demselben Farbton wand sich um seinen rechten Bizeps. Er schien etwa in Laurens Alter zu sein und hatte das runde, faltenlose Gesicht, die rosaroten Wangen und die hochgezogenen Augenbrauen eines verwöhnten Kindes. Als er mich von oben bis unten musterte, wich die Überraschung allmählich einem gewissen Misstrauen. Er presste den Waschlappen zusammen und zog den Kopf ein.
»Ich bin ein alter Bekannter von Lauren«, sagte ich. »Einer ihrer Ärzte. Ihre Mutter hat mich angerufen; sie macht sich Sorgen, weil sie seit einer Woche nichts von Lauren gehört hat -«
»Einer ihrer Ärzte? Ach ... der Psychologe - ja, sie hat mir von Ihnen erzählt. Ich erinnere mich daran, dass Sie den Namen eines Bundesstaats tragen - sind Sie indianischer Abstammung?«
»Eine Art Mischling.«
Er lächelte, zog an der silbernen Kette und brachte eine untertassengroße Taschenuhr zum Vorschein. »Mein Gott, es ist zwanzig vor drei\« Er rieb sich die Augen. »Ich hab ein Nickerchen gemacht, hörte die Klingel, dachte, es wäre zwanzig vor vier, und sprang aus dem Bett.«
»Tut mir Leid, dass ich Sie geweckt habe.«
Er löste seinen Klammergriff um den Waschlappen und schwenkte ihn in einem kleinen Bogen. »Ach, entschuldigen Sie sich nicht, Sie haben mir einen Gefallen getan. Ein ... alter Freund kommt gleich vorbei, und ich brauche die Zeit, um mich zu berappeln.« Er schob eine Hüfte vor. »Warum führen wir dieses Gespräch eigentlich im Flur?« Ein knochiger Arm schoss nach vorn. Sein Griff war eisenhart. »Andrew Salawder - ich bin Laurens Mitbewohner.«
Er ließ die Tür weit aufschwingen, und ich betrat ein großes Wohnzimmer mit einer hohen Querbalkendecke. Schwere dunkelrote und goldene Brokatvorhänge verdeckten die Fenster und tauchten den Raum in ein Halbdunkel. Neue Gerüche kamen mir entgegen: Rasierwasser, Weihrauch, die Andeutung von Spiegeleiern.
»Es werde Licht«, sagte Andrew Salander, während er durch den Raum eilte und die Vorhänge aufriss. Der Innenstadtsmog schwebte über den Dächern auf der anderen Straßenseite. Im Licht entpuppten sich die Wohnzimmerwände als zitronengelb unter vergoldetem Stuck. Die Querbalken waren ebenfalls vergoldet; jemand hatte sich die Zeit genommen, Blattgold aufzutragen. Französische Zigarettenplakate, langweilige alte Seegemälde in morschen Rahmen und ausgefranste Stickmustertücher bildeten eine merkwürdige Allianz an den Wänden. Art-deco und viktorianische Stücke sowie moderne Stahlrohrmöbel existierten in einer zusammengewürfelten Gruppierung nebeneinander. Wenn man genauer hinsah, lag es nahe, darin Fundstücke aus Secondhand-Läden zu vermuten. Ein scharfes Auge hatte ein harmonisches Ensemble daraus gemacht.
Salander sagte: »Also hat Mrs. A Sie angerufen. Mich auch. Drei Mal in ebenso vielen Tagen. Zuerst dachte ich, sie sei im Klimakterium, aber inzwischen sind mehr als sechs Tage vergangen, und jetzt beginne ich mir selbst Sorgen um Lo zu machen.«
Er zog einen zerfetzten seidenen Überwurf von einem durchgesessenen olivgrünen Samtdivan. »Nehmen Sie bitte Platz. Entschuldigen Sie den verwahrlosten Zustand. Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke. Es ist alles andere als verwahrlost.«
»Ach, bitte.« Er schwenkte eine Hand. »Die Arbeit schreitet fort und macht kaum Fortschritte - Lo und ich sind hiermit beschäftigt, seit ich eingezogen bin. Sonntags zum Tauschmarkt an der Rose Bowl, Western Avenue, manchmal findet man sogar noch was Annehmbares auf der La Brea. Das Problem ist, dass keiner von uns beiden Zeit hat, sich richtig dahinter zu klemmen. Als Lo hier allein wohnte, war die Wohnung völlig leer - ich dachte schon, sie sei einer dieser Menschen ohne jeden Blick, ohne ein
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