Fleisch und Blut
einem Glas Weißwein zurück. Als er sich wieder niederließ, stützte er einen Ellbogen auf sein Knie, platzierte sein Kinn in einer Handfläche und sah mir in die Augen.
Ich sagte: »Also hatte Lauren den Eindruck, ihre Mutter versuche sie zu kontrollieren, sagte aber nicht, wie.«
»Und am nächsten Tag kümmerte sie sich wieder um ihre eigenen Dinge, ohne ein weiteres Wort über Mama zu verlieren. In Wahrheit glaube ich nicht, dass Mrs. A eine große Rolle in Laurens Leben spielt. Sie ist seit Jahren auf sich selbst gestellt. Und das ist absolut alles, was ich Ihnen über ihre familiären Angelegenheiten sagen kann, also trinken Sie aus.« Er zog die Taschenuhr hervor.
»Ihr Freund«, sagte ich.
Er zuckte zusammen. »Ja.«
»Hat Lauren irgendwelche Freunde oder Freundinnen, mit denen ich reden könnte?«
»Nein.«
»Niemanden?«
»Absolut niemanden. Sie hat keinen festen Freund und treibt sich auch nicht mit den Mädchen rum. Wir sind beide in sozialer Hinsicht isoliert. Noch eine Eigenschaft, die uns verbindet.«
»Die Nachteule und die Frühaufsteherin«, sagte ich.
»Dies hier ist absolut das beste Wohnarrangement, das ich je hatte. Lauren ist Spitzenklasse, und ich bestehe einfach darauf, dass es ihr gut geht. Also, wenn Sie möchten, kann ich Ihnen die Cola in einen Styroporbecher gießen, damit Sie sie mitnehmen können ...«
So ziemlich der charmanteste Rauswurf, den ich je erlebt hatte. Ich stellte das Glas auf einem Beistelltisch ab und stand auf. »Nur noch ein paar Fragen. Mrs. A sagte, Lauren hätte keinen Koffer gepackt.«
»Das hab ich ihr erzählt«, erklärte er. »Ich kenne jedes Teil von Laurens Garderobe. Sie hat wirklich tolle Sachen. Als ich eingezogen war, hab ich ihren Schrank aufgeräumt. Sie besitzt zwei Gepäckstücke - zwei klassische Samsonite-Koffer, die wir für wenig Geld vom Flohmarkt in Santa Monica mitgenommen haben, und die sind beide hier. Ihr Rucksack für die Uni ebenfalls. Und ihre Bücher. Also muss sie vorhaben zurückzukommen.«
Er wollte einen Schluck Wein trinken, setzte das Glas aber wieder ab. »Das ist nicht gut, oder? Ohne Gepäck wegzugehen.«
»Es sei denn, Lauren ist der impulsive Typ.«
»So impulsiv, dass sie mit einem tollen Mann, den sie gerade kennen gelernt hat, in eine Maschine nach Cuernavaca steigen würde? Das wäre prima.« Er klang unsicher.
»Aber unwahrscheinlich.«
»Nun ja«, sagte Salander. »Ich glaube einfach nicht, dass Lo dazu fähig wäre - wenn sie sich verliebt hätte, würde ich es wissen. Sie war ein Gewohnheitstier: Sie stand auf, ging joggen, ging zur Uni, studierte, ging ins Bett, stand auf und machte dasselbe noch mal. Um die Wahrheit zu sagen, sie hatte was von einer Streberin.«
»Strikte Routine, von gelegentlichen Wochenendausflügen abgesehen.«
»Davon abgesehen.«
»Das neue Quartal an der Uni hat noch nicht begonnen«, sagte ich. »Was hat sie in ihren Ferien gemacht?«
»Gearbeitet.«
»Das Forschungsprojekt.«
»Eine Streberin«, sagte er. »Sie würde jeden freien Moment am Schreibtisch verbringen, wenn ich sie nicht auf Antiquitätenjagd mitnehmen würde.«
»Das muss sich bezahlt gemacht haben«, sagte ich. »Mrs. A sagte, sie hätte lauter Einsen bekommen.«
»Darauf war Lo so stolz. Sie hat mir ihre Kopie gezeigt. Ich fand es hinreißend.«
»Was?«
»Eine erwachsene Frau, die so aufgeregt war wie ein kleines Kind - sie studiert Psychologie, will selbst Psychotherapeutin werden. Sie müssen einen guten Einfluss auf sie gehabt haben.« Wieder starrte er mich an. »Sie haben Ihren Drink nicht angerührt, ist er okay?«
Ich nahm das Glas in die Hand und trank. »Ausgezeichnet.«
»Das ist mexikanische Limette, keine von Bearss. Hat mehr Biss.«
Die Cola floss meine Kehle hinunter. »Verdient sie an dem Forschungsprojekt genug, um die Rechnungen zu bezahlen?«
»Einen Teil vielleicht, aber Lo hat auch Geld angelegt.«
»Angelegt?«
»Eine Art Rücklage, die noch aus der Zeit stammt, als sie ganztags gearbeitet hat. Sie hat mir erzählt, sie könne noch ein paar Jahre von ihren Ersparnissen leben, bis sie wieder auf die Bretter muss. Das finde ich ganz großartig von ihr, einen so lukrativen Job für ihr Studium an den Nagel zu hängen.«
»Die Bretter?«
»Der Laufsteg - Kleider vorführen«, sagte er. »Nichts für Vogue -Titelbildere oder etwas Ähnliches. Sie hat seit ihrem achtzehnten Lebensjahr in der Fashion-Mart-Szene gearbeitet. Sie hat gutes Geld verdient, hat es aber gehasst,
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