Fleisch und Blut
Glück.«
»Danke. Sie würden einen guten Detektiv abgeben.«
»Ich?«, sagte sie. »Auf keinen Fall. Ich mag keine Überraschungen.«
Sie schloss ab, und als ich sie durch die Eingangshalle begleitete, hallten unsere Schritte auf dem schwarzen Terrazzo nach. Als sie draußen war, ging ich zu den Aufzügen zurück und studierte den Belegungsplan. Simon de Maartens' Büro war im vierten Stock, die von Stephen Z. Hall und Gene R. Dalby waren im fünften.
Ich drückte auf den Knopf, wartete und dachte daran, dass Lauren Andrew Salander belegen hatte. Kein Job bei einem Forschungsprojekt. Vermutlich, weil sie ihre wahre Berufstätigkeit tarnen wollte. Als Stripperin und als Nutte. Hatte ihre alte Beschäftigung wieder aufgenommen. Oder sie hatte nie damit aufgehört.
Als Model auf dem Laufsteg. Noch eine Lüge? Oder vielleicht waren die Jobs am Fashion Mart nur eine andere Methode, aus ihrem guten Aussehen Kapital zu schlagen.
Kluges Mädchen, aber die Anmeldung in einem College und gute Noten bildeten keinen Widerspruch dazu, der Prostitution nachzugehen. Zu der Zeit, als Lauren für Gretchen Stengel gearbeitet hatte, hatte die Westside-Madame mehrere Collegegirls beschäftigt. Schöne junge Frauen, die leichtes Geld verdienten - viel Geld. Jemand, der in der Lage war, die Dinge aufzugliedern und zu rationalisieren, würde die Logik zwingend finden: Warum sollte man Fünfhundert-Dollar-Nummern gegen einen Teilzeitjob eintauschen, bei dem man sechs Mäuse die Stunde fürs Tellerspülen bekam?
Salander hatte gesagt, Lauren lebe von Anlagegeschäften, und ich fragte mich, ob ihr Körper dabei als Kapitalsumme fungierte. Falls das so war, konnte ihr Verschwinden auch nur bedeuten, dass sie freiberuflich in den Ferien ein wenig zusätzliches Bargeld anschaffen wollte.
Kein Wagen, weil sie im Flugzeug unterwegs war - mit einem Scheich, einem Industriemagnaten oder einem Softwareboss irgendwohin jettete, mit irgendeinem Mann, der genug Geld und Illusionen besaß, um auf den Egotrip gekauften Vergnügens abzufahren.
Lauren, die ein paar Tage als Zeitvertreib diente und dann mit einigen hübschen Anlagen nach Hause kam.
Aber wenn das der Fall war, warum hatte sie dann ihrer Mutter keine Geschichte präsentiert, damit sie sich keine Sorgen machte? Und warum hatte sie keine Kleider eingepackt?
Weil dieser besondere Job eine neue Garderobe erforderte? Oder überhaupt keine Klamotten, abgesehen von den Fäden, die sie am Leib trug?
Sie hatte ihre Handtasche mitgenommen, was bedeutete, dass sie ihre Kreditkarten dabei hatte. Was brauchte ein Partymädchen mehr als Bereitwilligkeit und magisches Plastikgeld?
Vielleicht bestrafte sie ihre Mutter, indem sie ohne Erklärung verschwand - machte ihr klar, dass sie sich nicht kontrollieren ließ.
Oder vielleicht war die Antwort schmerzhaft simpel: Ruhe und Erholung, nachdem sie wochenlang für gute Noten gebüffelt hatte. Ausspannen an einem der Orte, wo sie schon einmal gewesen war - ein nettes ruhiges Motel in Malibu - falls das stimmte.
Vielleicht hatte Lauren den Pendelflug von L. A. nach Reno genommen, ihre alten Weidegründe lukrativ gefunden und beschlossen, ein bisschen dort zu bleiben ... Die Türen des Aufzugs öffneten sich, und ich fuhr in den vierten Stock. Die Tür zu Professor Simon de Maartens' Büro war mit Far-Side-Cartoons und einem Zeitungsausschnitt über Elche, die an saurem Regen gestorben waren, dekoriert. Geschlossen. Ich klopfte. Keine Antwort. Der Türknauf ließ sich nicht drehen.
Vor Stephen Halls ungeschmückter Platte aus gelbgrünem Holz hatte ich nicht mehr Erfolg, aber Gene Dalbys Tür war offen, und Gene saß in einem zerknitterten weißen Hemd und einer Khakihose an seinem Schreibtisch, die nackten Füße hochgelegt, und ein grauer Laptop ruhte auf einem mageren Oberschenkel. Er tippte, summte tonlos und wackelte mit den Zehen. Ein Paar Huarache-Sandalen standen neben den Beinen seines Sessels. Kaffee blubberte in einer alten weißen Maschine. Ein einzelnes Fenster zu seiner Linken rahmte Dächer und das Nordende vom Botanischen Garten des Campus ein. Aus einem Ghettoblaster auf der Fensterbank erklangen übernatürliche Gitarrenläufe und eine brüchige Stimme. Stevie Ray Vaughans »Crossfire«.
Ich sagte: »Eh, hallo, Professor Dalby. Könnten wir über meine Noten sprechen?«
Genes Kopf drehte sich. Dasselbe knochige schmale Gesicht mit den Henkelohren und dem rebellischen roten Haar. Seine Schläfen waren grau geworden. Eine
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