Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fleisch und Blut

Fleisch und Blut

Titel: Fleisch und Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
jung, selbstbewusst und misstrauisch, und seine Hand schoss reflexartig vor, als ich mit dem Seville näher kam. Ich streckte den Kopf aus dem Fenster und rief meinen Namen. Er hörte mich nicht, sah den Kühlergrill des Seville finster an und befahl mir, mich zu verziehen. Ich rief lauter, und er kam herübergeschlendert, die Augenbrauen wütend zusammengezogen, die Hand auf dem Holster. Mir war das Blut ins Gesicht gestiegen, aber ich zwang mich, langsam und höflich zu sprechen. Schließlich machte er den Anruf, der meine Angaben bestätigte, und als ich ausstieg, sagte er: »Dort drüben«, als gäbe er eine profunde Erkenntnis zum Besten.
    Dabei zeigte er die Gasse hinunter nach Süden, obwohl eine Richtungsangabe nicht nötig war. Der Fahrzeugknäuel bildete eine riesige Chromgeschwulst unter dem Zischen von Starkstromkabeln. Als ich auf den Tatort zulief, rief ein Gestank, der sich aus verrotteten Polstermöbeln, Benzin und verfaulendem Gemüse zusammensetzte, beinahe einen Brechreiz bei mir hervor.
    Ich erblickte Milo, gebückt und wie wild kritzelnd, neben dem Kleinbus des Gerichtsmediziners. Eins seiner Knie war gebeugt, und der Wulst seines Bauchs ragte ein ganzes Stück zwischen den Aufschlägen seines Jacketts hervor. Er leckte an seinem Bleistift und verlagerte dann sein Gewicht, wie es große, schwere Männer oft tun.
    Die Hochleistungsscheinwerfer, die die Techniker aufgestellt hatten, ließen sein Gesicht weiß und gepudert erscheinen, als sei es mit Mehl bestäubt, hoben Tränensäcke und Narben hervor, die schlaffen Stellen unter seinen Augen. Ich ging weiter auf ihn zu; mir war übel, und ich fühlte mich wie betäubt und fehl am Platz.
    Als ich noch drei Meter entfernt war, sah er auf. Jetzt war sein Gesicht merkwürdig verschwommen, als ob meine Augen plötzlich ihre Schärfe verloren hätten. Bis auf seine Augen: Sie funkelten, scharf, zu hell, schreckhaft wie die eines Kojoten, das Smaragdgrün durch die Scheinwerfer zu Meeresgischt ausgebleicht. Er trug ein fleischfarbenes Sportjackett aus Polyester, eine ausgebeulte Cordhose, ein bügelfreies weißes Hemd mit einem knappen Kragen, dessen Ecken sich hochbogen, und einen schmalen grünen Schlips, der glänzte wie ein Streifen Zahngel. Seine Haare mussten geschnitten werden; die oben auf dem Kopf, pechschwarz und wie üblich ziemlich lang, standen in alle Richtungen, und die spitze Stirnlocke fiel bis auf seine Adlernase. Seine zu Stoppeln gestutzten Schläfenhaare waren schneeweiß vom oberen Rand der Ohren bis zum unteren Ende der Elvis nachempfundenen Koteletten. Der Kontrast war unnatürlich; kürzlich war er dazu übergegangen, sich El Skunko zu nennen, und machte mehr und mehr Scherze über Senilität und Sterblichkeit. Er war weniger als ein Jahr älter als ich und schien im vergangenen Jahr stark gealtert zu sein. Robin sagte mir, ich sähe jung aus, wenn sie glaubte, ich sollte es hören. Ich fragte mich, was Rick zu Milo sagte.
    Er klappte sein Notizbuch zu, rieb sich das Gesicht und schüttelte den Kopf.
    »Wo ist sie?«, fragte ich.
    »Schon im Wagen«, sagte er und neigte seinen Kopf zum Transporter des Gerichtsmediziners. Die Türen waren geschlossen. Ein Fahrer saß hinter dem Lenkrad.
    Ich ging auf den Wagen zu. Er hielt mich am Arm fest. »Du willst sie nicht sehen.«
    »Ich kann es verkraften.«
    »Tu dir das nicht an. Was willst du damit erreichen?«
    Ich ging weiter bis zu dem Wagen, und er öffnete die Tür, zog die Bahre heraus und machte den Reißverschluss des Leichensacks ein Stück weit auf. Der Gestank verwesenden Fleisches stieg in meine Nase, und ich erblickte kurz ein unförmiges grüngraues Gesicht, violette geschwollene Augen, eine heraushängende Zunge, lange blonde Haarsträhnen, bevor er den Sack wieder zumachte und mich wegführte.
    Als der Wagen abfuhr, rieb er sich erneut das Gesicht, als wüsche er es ohne Wasser. »Sie ist schon eine Weile tot, Alex. Vier, fünf Tage, vielleicht mehr, unten in einem der Container unter einer Menge Müll.« Er zeigte auf einen von ihnen. »Der dort, hinter dem Gartenmöbelgeschäft. Jemand hat sie in dicke Plastiküberzüge gehüllt - Industriequalität. Die Nächte waren kühl, aber trotzdem ...«
    »Wer hat sie gefunden?«, fragte ich.
    »Der Laden hat einen privaten Entsorgungsbetrieb beauftragt. Die kommen einmal in der Woche nachts vorbei und sind hier vor zwei Stunden aufgetaucht. Als sie den Container einhängten und umkippten, fiel sie raus - willst du das wirklich

Weitere Kostenlose Bücher