Fleischessünde (German Edition)
aber das hätte erst recht die Wachleute aufmerksam gemacht.Da war es schon besser, sich ganz ungezwungen zu geben. Sie achtete lediglich darauf, ihr Gesicht durch den Teppich verdeckt zu halten.
Je mehr sich der Lift dem Erdgeschoss näherte, desto unruhiger wurde Calliope. Dennoch hoffte sie, dass der Fahrstuhl durchfuhr und niemand zustieg. Fünfter Stock, vierter, dritter … Das ungute Gefühl, das sie erfüllte, wurde immer stärker. Dann war sie angekommen. Die Kabine hielt, und die Türen glitten auseinander. Jemand erwartete sie. Sie spürte es genau. Und dieses Mal war es nicht nur ein so unbedeutendes Subjekt wie die beiden Typen vorhin. Das Signal war viel stärker.
In der Eingangshalle war niemand zu sehen. Wieder ging Calliopes Blick über den Steinboden, sie fand aber nirgends eine Blutspur. Sie fragte sich, wie zügig bei einem Reaper der Heilungsprozess voranschreiten mochte. War es denkbar, dass er schon kein Blut mehr verlor?
Die einzige Person in der Lobby außer ihr war ein Wachmann in roter Jacke hinter seinem Pult. Calliope ging auf den Hinterausgang zu. Das Signal war jetzt so brutal stark, dass es sich anfühlte, als hätte sie sich in einem Ameisenhaufen gewälzt. Hier schien es nicht weiterzugehen. Was sollte sie tun?
Also Plan C. Sie machte kehrt und wandte sich dem Haupteingang zu, ohne den Pförtner auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie behielt ihn aber im Auge. Der Mann war inzwischen aufgesprungen und hinter seinem Tisch hervorgekommen. Dass jemand einen Teppich aus dem Haus schleppen wollte, konnte er wohl nicht einfach geschehen lassen.
Calliope beschleunigte ihre Schritte. Sie war sicher, dass es nur der Reaper sein konnte, dessen Anwesenheit sie jetzt ganz nah spürte. Zu nah. Dass er sich nicht die Mühe machte, seine Ausstrahlung abzuschirmen, und sie ihn wahrnehmen konnte, war kein gutes Zeichen, im Gegenteil. Entweder machte er es absichtlich, um sie einzuschüchtern. Oder es war der Effekt, von dem ihr Roxy schon berichtet hatte. Wer von den Isistöchterneinmal das Blut eines anderen gekostet hatte, war ihm in der Weise verbunden, dass man den Betreffenden, wo auch immer er oder sie sich befand, jederzeit aufspüren konnte. Der Haken daran war, dass diese Verbindung in beide Richtungen funktionierte, und das würde bedeuten, dass der Reaper ihr künftig überallhin würde folgen können.
Wie auch immer, sie musste hier raus.
„Hallo!“, rief der Wachmann hinter ihr her, als sie fast schon den Ausgang erreicht hatte, aber feststellen musste, dass sie mit dem Teppich unmöglich durch die Drehtür passte.
„Auch hallo“, antwortete sie fröhlich.
„Sie können hier nicht einfach mit einem Teppich rausmarschieren“, bemerkte er mit drohend erhobener Stimme und rückte ihr nun dichter zu Leibe. Draußen heulten die Sirenen. Die Cops waren demnach auch nicht mehr weit.
Calliopes Puls raste. Nichts wie raus hier, hämmerte es in ihrem Kopf. Dass sie sich so aufregte, sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Sonst war sie immer so kontrolliert. Wie konnten die Emotionen derart überhandnehmen? Vielleicht war es ja nur das Blut des verdammten Reapers, das ihr das Gefühl gab, auf einem schlechten Trip zu sein. Immerhin wäre das eine Erklärung.
Gleich neben der Tür war ein Seiteneingang. Frechheit siegt, dachte sie. Sie schlug mit dem Handballen auf den automatischen Türöffner, da packte der Pförtner sie am Arm. Sie drehte den Kopf, bereit, ihm empfindlich wehzutun, als sich etwas zwischen sie drängte. Also doch … Wer sonst.
„Hi, Calliope“, sagte Malthus freundlich.
Instinktiv griff sie nach ihrem Messer, aber es war nicht mehr da. Stattdessen sah sie in Malthus’ Hand die Klinge blinken, die er so hielt, dass der Wachmann, der kurz vor einem Tobsuchtsanfall stand, sie nicht sehen konnte.
Ihre Blicke trafen sich. Wieder diese unbeschreiblichen grauen Augen. Calliope fragte sich, ob sein Grinsen zu bedeuten hatte, dass er jetzt den Zeitpunkt für seine Revanche gekommen sah.
7. KAPITEL
Das Blut, das vergossen,
machten sie sich zur Beute …
Nach dem Ägyptischen Totenbuch, Kapitel 18
B ist du nicht froh, mich zu sehen?“, fragte Malthus, der darauf achtete, dass der Wachmann weder den Dolch in seiner Hand noch den großen Blutfleck auf seinem Hemd sehen konnte. Malthus wollte – ebenso wie Calliope – so schnell wie möglich von hier verschwinden, ohne dass es zu weiteren Verwicklungen kam. Sterbliche neigten leicht zur Panik, wenn sie Blut
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