Fleischessünde (German Edition)
verkommenen Subjekt, das sie zu einem kleinen Plauderstündchen hierher geholt hatte. Jeffy Prince.
Der Name war ein Witz. Bei diesem Typ war nicht das Geringste an Adel auszumachen. Er sah mit seinen langen, ungewaschenen Haaren und der ausgebeulten Jeans eher aus wie ein ausgemergelter Straßenjunge. Erst als er den Kopf hob, Naphré ansah und der Lichtstrahl einer trüben Funzel auf ihn fiel, die den Eingang einer Baracke beleuchtete, wurde offenbar, dass er kein Jüngling mehr war. Er war näher an der vierzig als an der zwanzig.
Kein Junge, kein Welpenschutz. Naphré zog das Messer aus der Scheide und ließ im schwachen Licht die Klinge aufblitzen. Die Antwort darauf war ein neuerliches Winseln und Klirren mit der Kette. „Ich weiß nichts“, jammerte der Mann, „gar nichts. Ich schwör’s.“
Er sagte das, noch bevor Naphré irgendeine Frage gestellt hatte. Sein Atem rasselte kaum weniger als die Ketten um seine Handgelenke, an denen er zerrte und die Naphré solide mit der hinteren Stoßstange eines schrottreifen Lieferwagens verbunden hatte. Sie ließ ihm gerade so viel Bewegungsfreiheit, dass er sich das Haar aus der Stirn streichen konnte. Daran, sich befreien zukönnen, brauchte er nicht einmal zu denken. Naphré hatte wie gewohnt ganze Arbeit geleistet.
Sie trat einen Schritt näher, achtete aber darauf, dass sie außerhalb seines Gesichtskreises blieb, denn sie wusste, dass seine Panik mit jeder Sekunde wuchs, die sie für ihn unsichtbar blieb.
„Ich schwöre: Ich weiß überhaupt nichts“, wiederholte er.
„Du schwörst? Worauf schwörst du denn? Beim Grab deiner Mutter? Bei deinem Leben?“ Naphré war jetzt so dicht hinter ihn getreten, dass sie ihm direkt ins Ohr flüsterte.
Hektisch drehte er den Kopf, um einen Blick auf sie zu erhaschen. Aber sie war schon fort und tauchte unmittelbar darauf auf der anderen Seite des Wagens wieder auf.
Naphré hockte sich entspannt vor ihn hin, die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die Hände ließ sie locker hängen. Im selben Augenblick fuhr er zurück, so weit die Kette, an die er gebunden war, es zuließ, und presste den Rücken an die Stoßstange. Er zitterte am ganzen Leibe.
„Noch einmal: Bei wem oder was willst du schwören?“, wiederholte sie ihre Frage leise.
Er rollte mit den Augen. „Töte mich nicht“, stotterte er wie von Sinnen. „Um Jesu Christi willen, bitte, töte mich nicht.“ Je mehr Prince an der Kette zerrte, desto enger schnürte sie sich um seine Handgelenke. Jeden Augenblick mussten ihm die Finger taub werden.
Naphré tippte ihm mit dem Zeigefinger auf den Handrücken und zeigte auf die Trauerränder unter seinen ungepflegten Nägeln. „Du brauchst dringend mal ’ne Maniküre.“
Er schrie auf, als hätte sie ihn abgestochen.
„Rühr dich nicht von der Stelle“, ermahnte sie ihn. Dann griff sie nach seinem Daumen, fuhr mit der Spitze ihrer Messerklinge unter den verdreckten Fingernagel und säuberte ihn sorgfältig. „Eine Bewegung, und ich rutsche mit dem Messer ab, dann ist der Daumen futsch.“
Er nahm ihre Warnung ernst. Zwar jammerte er leise vor sichhin, bewegte sich aber tatsächlich keinen Millimeter. Immerhin war er schlau genug zu begreifen, dass die Frau, mit der er es zu tun hatte, keine leeren Drohungen aussprach.
„Ich habe eine ganz einfache Frage, bevor wir auf die Sache mit den beiden Mädchen kommen, die du an Big Ralph verschachert hast.“ Bei den Mädchen handelte es sich um zwei junge Frauen, die zu Izanami gehörten und in die Fänge des Lustgottes Asmodeus geraten waren, der sie auf den Strich hatte schicken wollen. Die Shikome hatte Naphré beauftragt, sich darum zu kümmern.
„Frag mich. Ich sage alles“, stieß Prince hastig hervor.
„Du bist da kürzlich in eine Auseinandersetzung geraten. Etwa vor zwei Monaten in einer Nebenstraße. Da ging es um eine Schachtel. Ein Mann und eine Frau waren auch dabei.“
Von der kleinen Kiste wusste sie, weil sie sich damals in dem kleinen Coffeeshop bei Tesso’s Bar um die Ecke einen Chai Latte geholt hatte. Da hatte das Kästchen, das anscheinend aus Blei und sehr alt war, auf einem Regal hinter der Kasse gestanden. Auf dem Deckel war der Name der Isis zu sehen gewesen und dazu eine Anzahl von Hieroglyphen, die Naphré nicht entziffern konnte. Dann war Jeffy Prince gekommen und hatte das Ding gestohlen. Seitdem war alles drunter und drüber gegangen.
„Ich weiß von nichts“, beeilte er sich zu erklären.
„Gut. Kommen wir darauf
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