Fliegende Fetzen
eingesehen«, erwiderte Karotte.
»Und… man hörte ein Knurren… Es klang nach einem Wolf…«
»Ah ja«, sagte Karotte. »Nun, du weißt ja, wenn sich Einbrecher erge-
ben…« Das war keine Erklärung, aber Karottes Tonfal deutete darauf
hin, daß es doch eine war. Als Karotte und Angua gegangen waren, gab sich Vortin ganze fünf Minuten lang damit zufrieden.
»Nun, dieser Tag beginnt recht angenehm«, sagte Karotte.
»Herzlichen Dank, nein, ich bin nicht verletzt«, entgegnete Angua.
»Dadurch lohnt sich die Mühe.«
»Nur mein Haar ist durcheinander, und eine weitere Bluse ist ruiniert.«
»Gute Arbeit.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, daß du mir überhaupt nicht zuhörst«,
sagte Angua.
»Freut mich, das zu hören«, erwiderte Karotte.
Die ganze Wache war angetreten. Mumms Blick glitt über das Meer aus
Gesichtern.
Meine Güte, dachte er. Wie viele sind es inzwischen? Vor einigen Jah-
ren konnte man die Angehörigen der Wache an den Fingern der Hand
eines blinden Metzgers abzählen, und jetzt…
Es kamen noch mehr herein.
Mumm beugte sich zu Karotte. »Wer sind al diese Leute?«
»Wächter, Herr Kommandeur. Du hast sie dazu ernannt.«
»Was? Einige von ihnen sehe ich heute zum ersten Mal!«
»Du hast die Papiere unterschrieben, Herr Kommandeur. Und jeden
Monat unterzeichnest du die Soldscheine – nach einer Weile.«
Bei den letzten Worten lag ein Hauch von Kritik in Karottes Stimme.
Mumms Einstel ung der Schreibarbeit gegenüber ließ sich folgenderma-
ßen beschreiben: Kümmere dich erst darum, wenn jemand schreit –
dann kannst du wenigstens Hilfe erwarten.
»Aber wie sind diese Leute zu Wächtern geworden?«
»Auf die übliche Weise, Herr Kommandeur. Nach der Vereidigung be-
kam jeder von ihnen einen Helm…«
»He, da steht Reg Schuh! Er ist ein Zombie! Ihm fallen dauernd ir-
gendwelche Körperteile ab!«
»Er genießt hohes Ansehen in der Gemeinschaft der Untoten, Herr
Kommandeur«, sagte Karotte.
»Wieso gehört er zu uns?«
»Er beklagte sich in der letzten Woche, daß die Wache einige Schwarze
Männer belästigte. Er legte seinen Standpunkt mit… äh… großer Vehe-
menz dar. Ich überzeugte ihn davon, daß die Wache mehr Sachkenntnis
benötigt, daraufhin ließ er sich rekrutieren.«
»Jetzt gibt es keine Beschwerden mehr, nehme ich an.«
»Oh, sogar doppelt so viele wie vorher, Herr Kommandeur. Al e
kommen von den Untoten und richten sich gegen den Obergefreiten
Schuh. Ich frage mich, was der Grund dafür sein mag.«
Mumm musterte Karotte neugierig.
»Er fühlt sich deshalb sehr verletzt, Herr Kommandeur. Er meint, die
Untoten verstünden einfach nicht die Probleme des Polizeidienstes in
einer multivitalen Gesellschaft, Herr Kommandeur.«
Bei den Göttern, dachte Mumm. Das hätte ich tun können. Ich ergreife solche Maßnahmen, weil ich keinen Wert darauf lege, nett zu sein. Aber
Karotte ist die Nettigkeit in Person. Wenn es eine Goldmedaille dafür
gäbe, nett zu sein, hätte man sie ihm schon verliehen. Er kann doch
nicht…
Mumm begriff, daß er nie Gewißheit erlangen würde. Nur eins war
ihm klar: Irgendwo hinter Karottes unschuldigem Blick war eine Stahltür
verborgen.
» Du hast ihn in die Wache aufgenommen, stimmt’s?«
»Nein, Herr Kommandeur. Dieses Verdienst gebührt dir. Du hast
nicht nur die Aufnahmepapiere unterschrieben, sondern auch den Aus-
rüstungsschein und die aktuelle Einsatzorder.«
An Mumms innerem Auge zogen zahllose Dokumente vorbei, unter
die er in aller Eile seinen Namen gekritzelt hatte. Es ließ sich nicht leugnen: Durch seine Unterschrift waren Reg Schuh und die anderen zu
Wächtern geworden. Es stimmte auch, daß sie neue Leute brauchten,
aber trotzdem regte sich Unbehagen in ihm, und er dachte: Früher bin
ich es gewesen, der…
»Außerdem darf jeder rekrutieren, der mindestens den Rang eines
Feldwebels bekleidet«, fügte Karotte hinzu, als könnte er die Gedanken
des Kommandeurs lesen. »So steht es in der Dienstvorschrift. Auf Seite
zweiundzwanzig, direkt unter dem Teefleck.«
»Und… wie viele neue Wächter hast du rekrutiert?«
»Nur ein paar. Wir sind noch immer unterbesetzt.«
»Offenbar brauchen wir so dringend Leute, daß wir sogar auf Tote zu-
rückgreifen.«
»Auf Un tote, Herr Kommandeur. Möchtest du jetzt zu den Wächtern
sprechen?«
Erneut glitt Mumms Blick über die versammelte… Menge. Es genügte
einfach nicht, von »vielen« zu sprechen, fand er. Die
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