Fliegende Fetzen
Haha, du hältst mich für einen Wächter? Sehe ich etwa
wie ein Wächter aus?«
»Ja, du siehst tatsächlich wie ein Wächter aus«, sagte Frau Geifer. »Du
bist Hauptmann Karotte. Ich habe dich in der Stadt auf Streife gesehen.
Nun, ich nehme an, selbst Polizisten müssen irgendwo schlafen.«
Auf dem Dach rollte Angua mit den Augen.
»Keine Frauen, kein Kochen, keine Musik, keine Haustiere«, sagte Frau
Geifer, als sie Karotte über eine knarrende Treppe nach oben führte.
Angua wartete in der Dunkelheit, bis sie hörte, wie sich ein Fenster
öffnete.
»Sie ist fort«, flüsterte Karotte.
»Hier draußen liegen Glassplitter auf den Schindeln, so wie es in Freds
Bericht stand«, sagte Angua, als sie hereinkletterte. Im Zimmer schloß sie die Augen und atmete tief durch.
Zuerst mußte sie den Geruch von Karotte vergessen: Angstschweiß,
Seife, Spuren eines Poliermittels, das an den Brustharnisch erinnerte…
… und Fred Colon, ganz Schweiß mit einer Andeutung von Bier, und dann die seltsame Salbe, mit der Nobby sein Hauptproblem zu lösen versuchte, und der Geruch von Füßen, Körpern, Kleidung, Reinigungsmitteln, Fingernägeln…
Nach einer Stunde konnte das Auge der Nase sehen, wie jemand
durchs Zimmer ging – der Geruch fror Personen in der Zeit fest. Doch
nach einigen Tagen überlagerten sich diese Spuren und verhedderten
sich. Man mußte die eine von der anderen trennen, vertraute Fragmente
beiseite nehmen. Was danach übrigblieb…
»Es ist ein solches Durcheinander!«
»Schon gut, schon gut«, sagte Karotte in tröstendem Tonfal .
»Mindestens drei Personen! Aber ich glaube, eine von ihnen ist Ostie…
Am Bett ist der Geruch stärker, und…«
Angua öffnete die Augen und blickte auf den Boden. »Hier irgendwo!«
»Was? Was meinst du?«
Angua bückte sich, bis nur noch wenige Zentimeter ihre Nase vom
Boden trennten.
»Ich rieche es, kann es aber nicht sehen!«
Ein Messer erschien vor ihr. Karotte kniete sich hin und kratzte mit
der Klinge durch den staubigen Spalt zwischen den Dielen.
Etwas Splittriges und Braunes kam zum Vorschein. Das Objekt war
schmutzig und hatte ganz offensichtlich bessere Zeiten erlebt, aber jetzt
nahm selbst Karotte das unverkennbare Aroma einer Gewürznelke wahr.
»Glaubst du, Ostie hat oft Apfelkuchen gebacken?« fragte er leise.
»Kochen verboten, erinnerst du dich?« erwiderte Angua und lächelte.
»Da ist noch etwas…«
Karotte hebelte noch mehr Schmutz und Staub nach oben. Etwas glit-
zerte darin. »In Freds Bericht hieß es, die Glassplitter hätten draußen
gelegen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Nun, angenommen, jemand hat nicht alle Splitter aufgesammelt,
nachdem er die Fensterscheibe eingeschlagen hatte und ins Zimmer ge-
langt war?«
»Für jemanden, der nicht lügt, kannst du ziemlich schlau sein, Karotte.«
»Es ist nur logisch. Es liegen Glassplitter vor dem Fenster. Doch das
bedeutet nur, daß Glassplitter vor dem Fenster liegen. Kommandeur
Mumm sagt immer, daß es eigentlich gar keine Spuren gibt. Es kommt
nur darauf an, aus welchem Blickwinkel man die Dinge betrachtet.«
»Du glaubst, hier ist jemand eingebrochen, hat dann die Glassplitter
eingesammelt und sie draußen vors Fenster gelegt?«
»Das wäre möglich.«
»Karotte? Warum flüstern wir?«
»Keine Frauen, erinnerst du dich?«
»Und keine Haustiere«, fügte Angua hinzu. »Hier bin ich doppelt un-
erwünscht. Schau nicht so betreten drein«, fügte sie hinzu, als sie seinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Es ist nur unverschämt, wenn es jemand
anders sagt. Mir sind solche Bemerkungen gestattet.«
Karotte schabte noch einige weitere Glassplitter aus der Ritze zwischen
den Dielen. Angua sah unters Bett und holte die Zeitschriften hervor.
»Bei den Göttern, es gibt tatsächlich Leute, die so etwas lesen?« Sie
blätterte in Bögen und Bolzen. »›Test des Locksli Reflex Nummer 7: Ein toller Bogen‹. Und: ›Wunde Füße! Wir haben die zehn besten Fußangeln
getestet…‹ Und wie heißt diese Zeitschrift? Söldner ?«
»Irgendwo wird immer Krieg geführt«, sagte Karotte und zog die Scha-
tul e mit dem Geld unterm Bett hervor.
»Sieh nur, wie groß diese Axt ist! ›Verschaffe dir den entscheidenden
Vorteil! Mit der Streitaxt Straßenkehrer von Burlich-and-Starkimarm bist du deinen Gegnern um eine Kopflänge voraus!‹ Nun, vermutlich stimmt
es, was man von Männern behauptet, die große Waffen lieben…«
»Was behauptet man von ihnen?« sagte
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