Fliegende Fetzen
Groschen endgültig gefallen.
Seitdem verließ man sich in Ankh-Morpork auf das gute alte Prinzip
des eigenen Interesses. Wer in der Nähe eines brennenden Gebäudes
wohnte, zögerte nicht, etwas gegen das Feuer zu unternehmen. Immer-
hin konnte das Strohdach, das so gerettet wurde, durchaus das eigene
sein.
Doch die Menge vor der brennenden Botschaft beobachtete das Feuer
so, als loderte es auf einem fernen Kontinent.
Die Leute wichen automatisch beiseite, als Mumm sich mit den Ellen-
bogen einen Weg zum Tor bahnte. Flammen leckten bereits aus al en
Fenstern im Erdgeschoß; hin und her laufende Gestalten zeichneten sich
in ihrem flackernden Schein ab.
Er wandte sich der Menge zu. »Was ist los mit euch? Bildet eine Ei-
merkette!«
»Es ist ihre verdammte Botschaft«, sagte jemand.
»Ja. Klatschianisches Territorium.«
»Und klatschianisches Territorium darf man nicht einfach so betreten.«
»Das wäre eine Invasion. «
»Sie erlauben es gar nicht«, sagte ein kleiner Junge mit einem Eimer in
der Hand.
Mumm sah zum Tor der Botschaft. Zwei Wächter standen dort. Ihre
besorgten Blicke glitten zwischen dem Feuer hinter ihnen und der Men-
ge vor ihnen hin und her. Sie waren nervös. Aber was noch schlimmer
war: Sie waren nervös und mit Schwertern bewaffnet.
Der Kommandeur näherte sich ihnen vorsichtig, lächelte und hob sei-
ne Dienstmarke wie einen Schild. Er wünschte sich plötzlich, sie wäre
ein ganzes Stück größer.
»Ich bin Kommandeur Mumm von Ankh-Morporks Stadtwache«, sag-
te er und versuchte, möglichst freundlich und hilfsbereit zu klingen.
Einer der beiden Wächter winkte ihn fort. »Hinweg mit dir!«
»Äh…«, sagte Mumm. Er sah aufs Kopfsteinpflaster, hob dann den
Kopf und richtete seinen Blick wieder auf den Wächter. Irgendwo in den
Flammen schrie jemand.
»Du! Komm her! Siehst du das?« rief er dem Wächter zu und deutete
zu Boden. Der Mann trat einen Schritt vor.
»Dies ist das Territorium von Ankh-Morpork, mein Freund«, sagte
Mumm. »Und du stehst darauf und behinderst mich bei der Ausübung
meiner…« Er rammte dem Wächter seine Faust so fest wie möglich in
den Magen.»… Pflicht!«
Als der zweite Wächter heransprang, trat er zu und traf ihn am Knie.
Etwas knackte, und es fühlte sich nach Mumms eigenem Fußknöchel an.
Er fluchte und hinkte ein wenig, als er in die Botschaft eilte und einen
vorbeihastenden Mann am Umhang festhielt.
»Hält sich hier noch jemand auf? Sind weitere Personen im Gebäude?«
Der Mann bedachte Mumm mit einem panikerfül ten Blick. Die Unter-
lagen, die er in beiden Armen getragen hatte, fielen zu Boden.
Jemand anders griff nach der Schulter des Kommandeurs. »Kannst du
klettern, Herr Mumm?«
»Wer…«
Der Neuankömmling wandte sich dem Dokumententräger zu und
schlug ihm ins Gesicht. »Retter von Papier!«
Der Mann fiel zurück, wobei ihm der Turban vom Kopf gerissen wur-
de.
»Hier entlang!« Der Fremde lief durch den Qualm. Mumm folgte ihm,
bis sie eine Wand erreichten. Ein Abflußrohr führte daran entlang.
»Wie…«
»Nach oben! Nach oben!«
Mumm stützte den einen Fuß auf die gewölbten Hände des Mannes,
erreichte mit dem anderen eine Halterung und schob sich nach oben.
»Schneller!«
In einer Mischung aus Klettern und Ziehen gelangte Mumm nach
oben. Kleine Feuerwerke aus Schmerz explodierten in seinem Bein, als
er schließlich eine Brüstung erreichte und sich darüber zog. Der andere
Mann stieg hinter ihm auf, als wäre er die Wand emporgelaufen.
Ein Tuch verbarg die untere Gesichtshälfte des Fremden, und er reich-
te Mumm einen ähnlichen Stoffetzen.
»Mund und Nase damit bedecken!« befahl er. »Schützt vor dem
Rauch!«
Dichte Qualmwolken wogten über das Dach. Neben Mumm leckte ei-
ne Flammenzunge aus dem Schornstein.
Der Rest des entrollten Turbans wurde ihm in die Hand gedrückt.
»Du nimmst diese Seite und ich die andere«, sagte die Erscheinung und
eilte durch den Rauch davon.
»Aber w…«
Mumm spürte die Hitze durch die Stiefelsohlen. Er hinkte übers Dach
und hörte laute Stimmen von unten.
Als er sich über den Dachrand beugte, bemerkte er ein Fenster, aus
dem ein winkender Arm ragte.
Die Menge vor dem Gebäude war inzwischen noch weiter gewachsen.
Inmitten des Durcheinanders sah Mumm die große Gestalt des Oberge-
freiten Dorfl – als Golem brauchte er das Feuer nicht zu fürchten. Aller-
dings hatte Dorfl immer wieder Probleme mit Treppen: Es gab
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