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Flieh, so schnell es geht!

Flieh, so schnell es geht!

Titel: Flieh, so schnell es geht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Bowler
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schließlich hab ich keine Gelegenheit, an die anderen Verstecke zu kommen. Vielleicht muss ich sofort die Flatter machen.
    Und dann brauche ich das ganze Geld.
    Nimm alles.
    Teil das Geld auf, steck es in verschiedene Taschen. Mit einer Hand streich ich über das Messer und umschließe es. Wieder überläuft mich ein Schauer, aber nicht so wie vorhin. Das hier ist kein Schauer vom kalten Wasser. Ich lasse das Messer los und nehme die Hand aus der Tasche.
    Â»Komm, bring das hier zu Ende.«
    Ich stopfe die leeren Plastiktüten in das Versteck zurück, schiebe den Ziegelstein in die Aussparung. Passt, sieht aus wie vorher, alles fein sauber. Und jetzt – endlich – raus aus dem kalten Wasser.
    Wieder das Ufer hinauf, triefend und vor Kälte bibbernd. Die Lage peilen. Kein Mensch zu sehen, alles ruhig. Nur der Wind spielt im trockenen Gras und säuselt in den Blättern der Bäume. Ich halte oben auf dem Pfad, krempel die Hosen wieder herunter und ziehe Strümpfe und Schuhe an.
    Noch mal checken.
    Immer noch alles ruhig.
    Zurück zur Straße. Jetzt werde ich nervös, Bigeyes. Kein Grund zum Durchdrehen, aber ich stehe unter Druck. Nicht nur wegen der vielen Kohle in meinen Taschen.
    Sondern wegen des Messers.
    Schon die bloße Berührung hat alles wieder hochgebracht. Das wird mich aber nicht davon abhalten, zu tun, was ich tun muss. Denk das ja nicht. Du wirst sehen, wozu ich fähig bin. Einmal hab ich es versiebt, aber das passiert mir kein zweites Mal.
    Nur das.
    Nur darum geht es.
    Wieder beim Auto. Checken, alles in Ordnung. Steig ein, lass den Motor an. Hier ist kein Platz zum Wenden, also den Rückwärtsgang einlegen, Kupplung kommen lassen. Es ruckelt ein bisschen, aber die Karre setzt sich in Bewegung. Ich kriege einen steifen Hals vom Nach-hinten-Starren, aber anders geht es nicht, bis ich eine passende Stelle zum Wenden finde.
    Da, das Gatter kommt gerade richtig.
    Fahr von der Straße runter, leg den Vorwärtsgang ein, schlag das Lenkrad ein und los. Wir fahren wieder Richtung Stadt.
    Und meine Gedanken schweifen ab.
    Ich sollte an meinen Plan denken, mir klarmachen, was um mich herum geschieht, aber genau das tue ich nicht. Ich denke an die Vergangenheit. Die Diamanten haben etwas ausgelöst in mir. Frag nicht, woher sie stammen. Das geht dich nichts an.
    Aber nun kann ich nicht mehr aufhören.
    Ich denke an Becky. Nicht an die Becky, die irgendwo im Graben liegt, sondern an die andere Becky. Meine gute alte Becky. Sie hätte nicht sterben dürfen. Sie sollte noch am Leben sein. Warum müssen alle, die mir etwas bedeuten, sterben?
    Sie hätte jetzt mein Alter, wenn sie noch am Leben wäre.
    Denk daran. Vierzehn. Immer noch ein Kind, so wie ich. Aber sie hat es nur bis elf geschafft. Und die andere Becky ist nicht viel älter geworden. Sechzehn, so alt wie Trixi. Auch sie eigentlich noch ein Kind. Und dann Mary.
    Sicher, die war kein Kind.
    Aber auch sie ist jetzt tot.
    Sie sind alle tot, Bigeyes. Eine nach der anderen sind sie aus dem Leben verschwunden. Und was wird aus mir? Verschwinde ich auch? Vielleicht bin ich ja noch vor heute Abend tot. Geld weg. Ausgeträumt.
    Träume hab ich nie viel gehabt.
    Sollte ich aber. Jeder Mensch sollte Träume haben. Deshalb mag ich doch Geschichten. In allen Geschichten geht es um Träume. Der Traum, ein anderer zu sein, anderswo zu sein. In Geschichten kannst du dich in jemand anderen verwandeln. Für eine Weile, für ein paar Minuten oder auch Stunden. Du kannst entfliehen.
    Aber nicht jetzt.
    Das hier ist keine Geschichte. Und ganz sicher kein Traum.
    Der Regen setzt wieder ein. Freut mich, kommt gerade recht, denn jetzt ist Schluss mit Labern, jetzt muss ich aufpassen. Wir haben schon die Außenbezirke erreicht, aber ich will die belebten Straßen meiden. Ich kenne mein Ziel und den Weg dorthin.
    Aber wir werden nicht allein sein, denk daran. Andere Leute werden dort sein.
    Paddy ist nicht dumm. Er weiß, entweder bin ich aus der Stadt weg oder ich bin noch da. Und wenn ich geblieben bin, dann nur aus einem Grund. Und den kennt er.
    Aber er weiß nicht, dass ich die Haarfarbe geändert und die Klamotten gewechselt hab. Und außerdem hab ich ein Auto. Und ich habe es nach wie vor auf ihn abgesehen.
    Das wird er erst merken, wenn es zu spät ist.
    Noch mehr Regen. Mir ist das recht. Wie die Dunkelheit. Der Dunkelheit kannst du trauen, sie hüllt dich ein.
    Fahr weiter

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