Flieh solange du kannst
Sternenhimmel würde sie sich wahrscheinlich sicherer fühlen als hier in einem Hotelzimmer. Aber bei ihrer momentanen Pechsträhne würde es vermutlich zu regnen anfangen oder sie legten sich in ein Klapperschlangennest.
Sie versuchte, sich wieder auf das Telefonat zu konzentrieren und fragte: “Hat Larry den Wagen denn schon abgeholt?”
“Ich glaube nicht”, sagte die Frau am anderen Ende. “Milt wollte erst noch eine bessere Stereoanlage einbauen.”
“Aber es fährt.”
“Ja, natürlich.”
“Ich zahle Ihnen hundert Dollar mehr, wenn Sie es an mich verkaufen.” Emma fand es zwar nicht sehr nett, dass sie gerade versuchte, einem Jungen sein erstes Auto vor der Nase wegzuschnappen. Aber niemand brauchte im Augenblick so dringend einen Wagen wie sie.
“Das kann ich leider nicht tun, junge Frau. Ich habe es schon fest zugesagt.”
“Sie würden mir wirklich einen großen Gefallen tun”, bat Emma, aber ihre Gesprächspartnerin hatte schon aufgelegt.
Seufzend strich sie die Zeitungsanzeige durch, in der ein über zwanzig Jahre alter Camaro mit neuem Motor und neuen Reifen für 1500 Dollar angeboten worden war. In diesem kleinen Kaff gab es nun mal kein großes Angebot an Gebrauchtwagen. Den kleinen Fordhändler am anderen Ortsende hatte sie schon angerufen, aber dort wurden keine Autos in ihrer Preisklasse angeboten. Auch die Angebote in der Zeitung lagen meist über 2000 Dollar, und zwei Wagen, die vom Preis her passten, waren bereits verkauft gewesen. Drei andere schieden aus, weil man ihr gleich erklärte, die Autos müssten erst noch “auf Vordermann gebracht werden”.
Ihr Mann kriegt das bestimmt hin, junge Frau.
Aber was konnte man bei so einem niedrigen Preis schon erwarten?
Auf dem Parkplatz der Tankstelle standen einige Motorräder zum Verkauf. Wenn sie doch nur Motorradfahren gelernt hätte! Im Moment wäre sie zu allem bereit. Sie hätte sogar den Bus genommen. Aber hier gab es ja nicht einmal eine Überlandbus-Station.
Sie befühlte ihre Diamantohrringe. Manuel hatte sie ihr einmal zum Geburtstag geschenkt. Gefühle verband sie damit nicht. Aber sie hatte sie mitgenommen, um sie verkaufen zu können, wenn sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten sollte. Inzwischen steckte sie längst bis zum Hals in solchen Schwierigkeiten, aber leider fand sie im Telefonbuch keinen Hinweis auf ein Pfandhaus.
Wieder starrte sie die Zeitungsanzeigen an. Es gab noch mehr Autos, aber neuere und teurere Modelle. Ob jemand ihr einen Wagen für ein paar Diamantohrringe überließ? Sie waren bestimmt zehntausend Dollar wert, aber wie sollte sie das beweisen? Vielleicht gab es hier einen Juwelier, der ihr ein Gutachten ausstellte?
Sie strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn und las weiter. Wahrscheinlich wäre ein Tauschgeschäft besser. Eine Schulfreundin von ihr musste einmal einen Fotoapparat versetzen und bekam nur zehn Prozent des Kaufpreises dafür. Wenn sie die Ohrringe einfach gegen ein Auto tauschte, durfte sie darauf hoffen, dass man ihr immerhin die Hälfte des Wertes berechnete.
Max kam näher und klopfte gegen die Tür der Telefonzelle, obwohl sie halb offen stand. “Mommy, mir ist heiß!”
Ihr ging es nicht anders. Und draußen wehte wenigstens noch ein leichter Wind. Die altmodische Zelle schirmte sie zwar ganz gut vom Verkehrslärm ab, aber da die Sonne unbarmherzig auf sie niederbrannte, war es unerträglich heiß und stickig in ihr. Über Emmas Rücken und ihre Brust lief Schweiß.
Sie schob die Tür ein Stückchen weiter auf, aber sie glitt sofort wieder zurück. “Ich bin gleich fertig, Max. Und dann kauf ich dir eine Diät-Limonade, okay?”
“Aber wir sind doch schon so furchtbar lange hier!”
“Ich hab es gleich geschafft.”
Max schob die Hände in die Taschen seiner neuen Shorts und kickte mit der Fußspitze einen Brocken Erde aus dem Beet. “Ich will endlich nach Hause.”
“Bitte, Max, jammere jetzt nicht herum. Ich weiß ja, dass es heute ein anstrengender Tag für dich war, aber ich kann’s auch nicht ändern.”
“Warum fahren wir denn nicht einfach zurück?”
Das war nun wirklich nicht der Moment für ein klärendes Gespräch zwischen Mutter und Sohn. Ihre Idee, Max einfach mitzunehmen und darauf zu hoffen, dass er alles akzeptierte, hatte sich leider als zu einfach erwiesen. Natürlich gefiel es ihm nicht, scheinbar ziellos in der Gegend herumzulaufen, ohne zu wissen, was eigentlich los war. In seinem Alter durfte er durchaus eine vernünftige
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