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Flieh solange du kannst

Flieh solange du kannst

Titel: Flieh solange du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brenda Novak
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Börse wurde um sechs Uhr eröffnet. Er war spät dran, aber er wollte unbedingt alles tun, um heute etwas zu erreichen.
    Also schaltete er seinen Computer ein, konnte sich aber nicht richtig konzentrieren. Aus dem Nebenraum drangen die Stimmen von Emma und Max zu ihm herein. Sie sprachen über Ameisenbären, warum auch immer, und er konnte nicht einfach weghören. Offenbar handelte es sich bei den Ameisenbären um nachtaktive Tiere, die in Afrika lebten und sehr gut graben konnten. Sie öffneten Ameisen- oder Termitenbauten und holten die Insekten mit Hilfe ihrer klebrigen Zunge heraus, um sie zu verspeisen.
    Wann hatte er sich zuletzt Gedanken über Ameisenbären gemacht? Oder über Dinosaurier. Oder über irgendwelche anderen Tierarten, von denen Kinder so gern etwas hörten? Oder über sonst etwas, das Kinder liebten? Über all diese kleinen spannenden Dinge, die nichts zu tun hatten mit Wut, Rache und Einsamkeit?
    Er starrte auf den Computerbildschirm. So sehr Max ihn auch an seine Vergangenheit und sein Unglück erinnerte, gab es doch Momente, in den Preston die Stimme des Jungen gern hörte.
    “Preston!”, rief Emma. “Frühstück ist fertig!”
    Preston spürte den Impuls, sich zu vergraben, sich von ihnen zu distanzieren. Er musste doch arbeiten. Aber da war etwas an den beiden, das seine emotionale Schutzschicht durchbrechen, seine Verbitterung beenden wollte, seine Isolation überwinden, die er seit zwei Jahren absichtlich suchte. Er merkte, dass er Angst hatte, sich diesem neuen Gefühl hinzugeben. Wie sollte er sich entscheiden? Konnte er diese neue Situation gefühlsmäßig überhaupt verkraften?
    Den Ausschlag gab schließlich der Duft nach Eiern mit Speck und selbst gebackenen Biskuits, der durch die Tür zu ihm hereindrang.
    Preston stand auf und ging hinüber in den Essbereich mit der kleinen Küche und tat so, als wäre er nur ganz zufällig vorbeigekommen und nicht etwa einer Einladung zum Frühstück gefolgt.
    “Möchtest du etwas essen?”, fragte Emma, als sie ihn bemerkte.
    Er nickte und sie füllte ihm einen Teller. Er nahm ihn entgegen und trug ihn zum Esstisch, während sie sich an ihrer Handtasche zu schaffen machte und eine schwarze Tüte herauszog.
    Diese Tüte hatte er schon öfter bemerkt. Sie hatte sie immer dann hervorgeholt, wenn er gerade zur Toilette ging oder den Wagen auftankte. Heute hatte er zum ersten Mal die Gelegenheit herauszufinden, was sich in ihr verbarg.
    Er griff nach seiner Gabel und tat, als würde er sich ganz auf sein Essen konzentrieren, sah dabei aber unentwegt Emma und Max zu.
    Vor Emma standen drei verschiedene Fläschchen, aus denen sie eine Spritze aufzog, die sie dann ihrem Sohn reichte.
    Musste der Junge sich die Injektion etwa selbst setzen? Im Alter von nur fünf Jahren?
    “Soll ich es in den Bauch spritzen?”, fragte Max.
    Emma runzelte die Stirn. “Wir haben uns doch entschieden, es da nicht mehr zu tun.”
    “Aber warum denn?”
    “Du weißt doch warum.”
    Preston wusste es nicht. Er hätte gern mehr darüber erfahren, war aber viel zu beschäftigt damit, Desinteresse zu heucheln.
    “Ja. Aber es wird schon gehen”, sagte Max.
    “Es ist aber nicht gut. Du weißt doch, dass der Arzt gesagt hat, wir sollen ständig die Einstichstellen wechseln. Und wir haben uns vorgenommen, es auch so zu machen. Hörst du mir überhaupt zu?”
    Preston bemerkte die vielen Stiche auf Max’ Bauch, und langsam wurde ihm klar, warum es besser war, eine Stelle nicht zu oft zu malträtieren. Der Bauch sah wirklich nicht gut aus.
    “Wie wär’s mit dem Bein?”, schlug Emma vor.
    Max schüttelte den Kopf.
    “Ich kann es auch in deinen Po spritzen.”
    “Aber Mommy!” Max wurde knallrot im Gesicht und warf einen verstohlenen Blick auf Preston. Der versuchte sich zu beherrschen, es wäre nicht nett gewesen, jetzt zu lachen.
    Emma seufzte. “Soll ich es dir in den Arm geben?”
    “Nein, das geht doch nur bei einer kleinen Dosis.”
    “Kleine Dosis?”, fragte Preston, der seine Neugier nicht mehr zügeln konnte.
    “Die Injektionen, die er zum Mittag- oder zum Abendessen bekommt, sind nicht ganz so stark”, erklärte Emma. Dann wandte sie sich wieder Max zu. “Wenn ich es nicht in deinen Arm spritzen darf, dann musst du es selbst an deinem Bein machen.”
    “Nein, bitte nicht das Bein.”
    “Max …”
    “Na gut.” Max seufzte laut, und so wie er die Nadel ansah, hätte Preston ihm gern die Last abgenommen. Emma schien es ähnlich zu gehen, denn in

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