Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
Vom Netzwerk:
Maryse ist es die im sechsten Stock links, in der Rue Poulet die Tür im dritten Stock rechts und in der Rue Caulaincourt die im vierten links. Das paßt nicht so recht zur Hypothese ›Aktionskunst‹.«
    Danglard nagte an seiner Unterlippe, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite.
    »Das ist der winzige Stachel, der aus dem reinen Dekor ein Kunstwerk macht«, schlug er vor. »Damit bietet der Künstler einen Denkansatz und nicht einfach nur bemaltes Papier. Das ist das eine Teil, das fehlt, das Schlüsselloch, das Unvollendete, das Element des Zufalls.«
    »Eines vorgetäuschten Zufalls«, verbesserte Adamsberg.
    »Der Künstler muß den Zufall selbst schaffen.«
    »Es ist kein Künstler«, bemerkte Adamsberg leise.
    Er parkte vor der Brigade und zog die Handbremse an.
    »Schön und gut«, willigte Danglard ein. »Was dann?«
    Adamsberg konzentrierte sich, die Arme auf das Lenkrad gelegt, den Blick weit in die Ferne gerichtet.
    »Vielleicht könnten Sie es vermeiden, mir mit ›Ich weiß es nicht‹ zu antworten«, bat Danglard.
    Adamsberg lächelte.
    »Unter diesen Bedingungen schweige ich besser«, erwiderte er.
     
    Adamsberg ging mit zügigen Schritten nach Hause, weil er Camilles Ankunft keinesfalls verpassen wollte. Er duschte und sank in einen Sessel, um dort für eine kurze halbe Stunde zu träumen, denn Camille war im allgemeinen pünktlich. Der einzige Gedanke, der ihm kam, war, daß er sich nackt unter seiner Kleidung fühlte, wie häufig, wenn er sie lange nicht gesehen hatte. Natürlich war jeder Mensch unter seiner Kleidung nackt, doch solche logischen Einwände störten Adamsberg nicht. Es blieb eine Tatsache: Wenn er Camille erwartete, war er nackt unter seiner Kleidung, was er bei der Arbeit nicht war. Der Unterschied war sonnenklar, ob er nun logisch war oder nicht.
     

9
     
    Am Donnerstag transportierte Joss, erfüllt von leichter Ungeduld und Sorge, zwischen seinen Auftritten als Ausrufer seine Sachen mit Hilfe des Lieferwagens, den Damas ihm geliehen hatte, in mehreren Fuhren in seine neue Bleibe. Beim letzten Transport, bei dem der Großteil des Mobiliars die sechs engen Stockwerke hinuntergetragen wurde, ging Damas ihm zur Hand. Es war nicht viel: ein mit schwarzem Segeltuch überzogener und mit Kupfernägeln beschlagener Überseekoffer, ein Kaminspiegel, dessen bemalter Teil einen am Kai hegenden Dreimaster zeigte, ein schwerer Sessel mit geschnitzten Verzierungen, den der Ururgroßvater während einiger kurzer Aufenthalte in der Familie mit seinen dicken Händen gefertigt hatte.
    Joss hatte die Nacht damit verbracht, sich neue Befürchtungen einfallen zu lassen. Decambrais - besser gesagt Hervé Ducouèdic - hatte gestern zuviel geredet, so voll, wie er mit etwa sechs Krug Rotwein gewesen war. Er würde, befürchtete Joss, voller Panik erwachen und ihn als erstes ans andere Ende der Welt befördern wollen. Aber nichts Derartiges war geschehen, Decambrais hatte sich ab acht Uhr dreißig mit einem Buch in der Hand an seine Tür gelehnt - der Situation mit Würde gestellt. Falls er es bereute, was wahrscheinlich war, oder falls er zitterte, weil er sein Geheimnis in die rauhen Hände eines Unbekannten und noch dazu eines Rohlings gelegt hatte, so hatte er sich nichts anmerken lassen. Und falls er einen Brummschädel hatte, und den hatte er ganz gewiß, genau wie Joss, so hatte er das ebensowenig zu erkennen gegeben; sein Gesicht war so konzentriert wie immer gewesen, als die beiden Anzeigen des Tages an die Reihe gekommen waren, die sie inzwischen ›die Speziellen‹ nannten.
    Joss hatte sie ihm am Abend ausgehändigt, gleich nach seinem Einzug. Als er schließlich allein in seinem neuen Zimmer gewesen war, hatte er als erstes Schuhe und Strümpfe ausgezogen und sich mit bloßen Füßen auf den Teppich gestellt, mit ausgebreiteten Beinen, hängenden Armen und geschlossenen Augen. Diesen Augenblick hatte sich Nicolas Le Guern, geboren zu Locmaria im Jahre 1832, ausgesucht, um sich auf das gewaltige Bett mit hölzernen Pfosten zu setzen und ihm ›Salut‹ zu sagen. »Salut«, sagte Joss.
    »Gut gespielt, Kleiner«, bemerkte der Alte und stützte die Ellbogen auf die Daunendecke.
    »Nicht wahr?« erwiderte Joss und öffnete halb die Augen.
    »Hier bist du besser aufgehoben als dort. Ich hatte dir ja gesagt, daß man es als Ausrufer weit bringen kann.«
    »Das sagst du mir jetzt schon sieben Jahre. Bist du deshalb hergekommen?«
    »Diese Anzeigen«, sagte der Vorfahr langsam, während

Weitere Kostenlose Bücher